Schon in meiner Jugend hat mich die Weite des fernöstlichen Russlands, welche für mich unerreichbar war da ich im Westen Deutschlands aufgewachsen bin, fasziniert.
Wladiwostock, Kamtschatka, welche zauberhafte Namen, wie mag es dort sein?
Dann kam die Wende 1989, die Auflösung der Sowjetunion folgte und ich bereiste Tschechien, Rumänien, zog 1992 in die ehemalige DDR, besuchte zum ersten Mal 1995 Lettland und 1999 ein erster Kurztrip nach St. Petersburg. Siehe dazu auch: https://lettlandweit.info/?s=Petersburg
Dann bereiste ich einige Male die Ukraine, das letzte Mal im Juni 2023, siehe dazu: https://lettlandweit.info/ukraine-eine-reise-von-der-propaganda-zur-wirklichkeit/
Danach unternahm ich eine Reise nach “Neurussland”, um die andere Seite der Medaille zu betrachten. Dazu: https://lettlandweit.info/eine-reise-nach-russland-und-durch-neu-russland/
Auf diesen drei Russlandreisen konnte ich mir ein Bild der wirklichen Situation machen und Erfahrungen mit der russischen Bürokratie sammeln. Da ich in Kirow bei meiner letzten Reise nach Russland im März 2024 einen Russlanddeutschen kennenlernte, und er mir erzählte, das er im September nach Kamtschatka reisen werde, mit einer Gruppe von etwa 8 Personen, bekundete ich auch mein Interesse daran teilzunehmen. Anfang August rief er mich an und fragte ob ich denn nun auch nach Kamtschatka reisen wolle. Klar, meinte ich, muss erstmal sehen ob ich ein Visum bekomme für einen Monat weil das elektronische Visa für 14 Tage wäre zu kurz für so eine Reise. Innerhalb von zwei Wochen war es fertig in den Pass geklebt, kostet mit einer Krankenversicherung für einen Monat zusammen 170 EUR.
Wie letztesmal bei meiner Reise im März 2024 nach Petersburg nutze ich wieder den Direktbus Riga – Petersburg des Unternehmens Vissa, diesmal hat der Bus allerdings russische Kennzeichen. Er verkehrt täglich ausser Sonntags.
Kurz vor Petersburg morgens aus dem Busfenster
Im Bus komme ich mit Robert ins Gespräch, ein Weissrusse, er lebt in Polen und besucht seine Mutter in Pskow, um danach von Russland nach Weissrussland zu reisen wo die Verwandten seiner Frau leben. Er selber kommt aus Weissrussland hat aber in Russland studiert.
Da er auch er bei den Antiregierungsdemos in Weissrussland teilgenommen hatte, möchte er nicht direkt von Polen nach Weissrussland reisen, da ihn dort die Zöllner genau überprüfen würden, die Grenze von Russland nach Weissrussland wird nur von den Russen kontrolliert.
Die Fragen an der estnischen Grenze bezüglich meiner EUR Devisenausfuhr, gestalten sich anfangs etwas schwierig, als ich Ihnen aber die Flugtickets von Moskau nach Kamtschatka vorlegte, welcher mir der Russlanddeutsche vorher schon gebucht hatte, verstand sie das für eine solange Reise für private Belange schon mal 2000 EUR mitgeführt werden müssen, da ja keinerlei europäischen Kreditkarten in Russland funktionieren.
(Das Flugticket kostete ca. 170 EUR)
Auf einem Plakat steht, Grenze könnte zukünftig geschlossen werden wegen illegaler Migration, deshalb Hinweis das eine Ausreise über diese Grenze eventuell nicht mehr möglich sei.
Auf der russischen Seite ging bei mir alles ganz schnell, komischerweise brauchte ich auch gar keinen Fragebogen ausfüllen wie beim letzten Mal, wie ich zu dem Ukraineproblem stehe, seltsamerweise aber alle Anderen welche auch keine russische Staatsbürgerschaft hatten … .
Petersburg
Unweit vom Busbahnhof gibt es ein kleines Hotel, welches ich gleich für ein paar Tage genutzt habe mit 30 EUR pro Nacht, klimatisiert, sauber und geräumig.
Heute sass ich in der Nähe vom Hotel am Obvodny Kanal in einer Bar draußen an der Strasse, trank ein Bier und dann kam eine junge Frau fragte mich nach einer Zigarette. Ich sagte ich habe nur die schönen Bellamorkanal (klassische russische Papyrosi ohne Filter, der Grund für das lange Pappstück sei, wie mir ein Russe erklärte, damit auch in Sibirien mit dicken Handschuhen geraucht werden kann) sie sagte kein Problem ihr Vater hätte die auch immer geraucht.
Dann versuchten wir ein wenig Konversation zu treiben ihr Englisch war sehr schlecht meine Russisch genauso. Aber sie meinte über Philosophie sprechen zu wollen, Wittgenstein, und lud mich ein noch einen Club zu besuchen in der Nähe ca. 200 m, und obwohl ich nicht wusste wohin der Weg geht habe ich gedacht okay das machen wir. Sie sagte ich würde wie Hemingway aussehen, dasselbe ist mir schon mal in die Jalta passiert. Dort fand ich viele junge Leute die sich besonders für Philosophie, Pessimismus Nietzsche etc. interessierten. Eine junge Frau aus Kasachstan half mir bei der englischen – russischen Übersetzung sie war gerade mal 47 Kilogramm schwer. Wir unterhielten uns über Nietzsche, Gott Pessimismus. Schopenhauer und den rumänischen Pessimisten Cioran. Er sagte:
„Hegel ist der große Verschulder des modernen Optimismus. Wie konnte er nur übersehen, dass das Bewusstsein bloß seine Formen und Weisen wechselt, aber keineswegs fortschreitet? Das Werden schließt eine absolute Vollendung, ein Ziel aus: Das Abenteuer der Zeit rollt ohne jede außerhalb seiner selbst liegende Zielsetzung ab und wird zu Ende gehen, wenn seine Möglichkeiten, sich fortzusetzen, erschöpft sind.“
Die Möglichkeiten werden nie erschöpft sein, das Rad des Lebens dreht sich endlos weiter, das Nirwana, Erlösung sind Floskeln einer Wunschidee, es wird wiederholt was war, nur die Variationen wandeln sich ein wenig.
Ganz erstaunlich war, das sie auch den Film über Bukowski von Marco Ferreri kannte, ebenso Fassbinder Filme besonders hat ihr der Film Händler der vier Jahreszeiten gefallen. Ein sehr interessantes Treffen ich habe gesehen dort in Petersburg gibt es durchaus tiefe kulturelle Verbindungen zum europäischen Denken im Anklang zu Dostojewski. Der Pessimismus der auch irgendwo bei Dostojewski raus klingt scheint ein Grundthema der intellektuellen Schicht in Petersburg zu sein, mir verständlich und nahe.
Zufälle? Oder der Lauf der Dinge. Das ich in dem Moment in der kleinen Seitenstrasse eine Frau vorbeikommt die sich mit mir unterhalten will und mich zu einem Klub führen will wo viele Leute sich mit genau den Themen beschäftigen die auch mir wichtig sind.
Die Kultkneipe in Petersburg wo wir philosophische Gespräche führten
Das Treffen mit der russischen Begegnungsstätte und der privaten Sprachschule in Petersburg war etwas merkwürdig.
Die Leiterin erzählte mir dass bis 2019 sehr viele Deutsche ihre Begegnungsstätte besucht haben sie gerade zu kaum Russisch sprach weil so viele deutsche Besucher da waren. Jetzt ist es umgekehrt sie hat überhaupt kaum noch Gelegenheit Deutsch zu sprechen da sie von Russland überwacht wird damit ihre Begegnungsstätte nicht mit westlichen Ideen und Propaganda infiltriert wird. Einmal ein Angebot für Russlanddeutsche dann Projekte auf die Überlebenden der Leningradblockade welche ungefähr noch 200 lebende Personen betrifft.betrifft. Ebenso haben sie ein Gymnasium gegründet im Stile von Karl May (nicht zu verwechseln mit Karl May dem Abenteuererzähler!, hier geht es um:Die Grundprinzipien der Karl-May-Schule (1856 – 1918) basierten auf einem behutsamen und umsichtigen Umgang mit den Schülerinnen und Schülern. Die Pädagogen des drb wissen und spüren, wie wichtig dieser Umgang auch in der heutigen Zeit für Kinder und ihre Eltern ist. Das Motto der Schule stellte ein Satz von Johann Amos Comenius (1592 – 1670) dar: Erst lieben – dann lehren. Primus amor — post doceo. Die Hauptaufgabe besteht darin, die Schülerinnen und Schüler auf eine gesellschaftlich nützliche Arbeit vorzubereiten. Den Schülerinnen und Schülern wird nur wahres Wissen vermittelt.Bildung und Erziehung stellen das oberste Ziel des Lehrens dar.Der Umgang mit Kindern muss individuell und differenziert gestaltet werden.Der Geist, Moralvorstellungen, ästhetische Werte, der Wille und die Gesundheit der Kinder sollen gleichermaßen ein wichtiges Anliegen der Lehrkräfte sein.Aufgaben, bei denen von den Schülern Selbstständigkeit verlangt und das Wissen selbst an ihre Stärken angepasst wird, sind gewinnbringend und effektiv.Die Lehrkraft als Vorbild ist die wirksamste Art der Erziehung.Disziplin ist noch keine Bildung.Bildung soll den Willen des Kindes nicht brechen, sondern ihn formen.Alles kann von einem jungen Wesen durch Vertrauen erreicht werden.) womit sie ihre Einnahmen regenerieren und natürlich gibt es eine Sprachschule. Sie sind völlig unabhängig von staatlichen Fördermitteln sowohl keine aus Russland und keine aus Deutschland. 2022 haben sie die letzte IFA Mitarbeiterin zur Grenze nach Estland gebracht damit sie zu Fuss Russland verlassen kann. Da Deutschland zu den sogenannten unfreundlichen Staaten in Bezug auf Russland gezählt wird empfiehlt es sich nicht für sie weitere Kontakte nach Deutschland zu unterhalten.
Für sie ist es sehr schwer wieder nach Deutschland zu kommen oft kommt ein Visa erst dann, wenn schon die Flüge gebucht sind und der Abflugszeitpunkt schon vergangen ist. Ebenso muss sie für das Visa schon vorher alle Hotelbuchungen vorlegen welche ja faktisch ohne Kreditkarte in Deutschland kaum möglich sind.
Eine etwas traurige Situation wie sie selber zugab da sie selber unzählige Kontakte nach Deutschland auch zum Baltikum gepflegt hatte. Trotzdem hat sie es geschafft das Deutsche Begegnungszentrum in Petersburg aufrecht zu erhalten, unabhängig mit eigenen Mitteln ein rein ökonomisch organisierter Betrieb wo alle sich sammeln aus Russland die Interesse an deutscher Sprache und deutscher Kultur haben.
Zwei mir unbekannte Dinge hat sie noch erwähnt zum einen die Kartoffeldeutschen in Dänemark und den Tannenbaum Skandal in Deutschland in Bezug auf den Islam.
Petersburg ist stark besucht insbesonders von asiatischen Touristen.
Man hängt nostalgisch immer noch etwas an der Sowjetzeit.
Und auch das Deutsche wird hier und da gerne genutzt.
Schlüsselburg
Bei meiner letzten Fahrt nach Petersburg im März konnte man leider nicht mit dem Boot zur alten Festung Schlüsselburg am Ausfluss des Ladogasees fahren, das habe ich diesmal nachgeholt:
Sowohl die Russen als auch die Schweden behaupten in ihrer Geschichtsschreibung diese Festung im 14. Jahrhundert zuerst angelegt zu haben. 1323 wurden in der Festung Verhandlungen um den russisch-schwedischen Grenzverlauf in Karelien geführt, auch genannt der Vertrag von Nöteborg. Der Vertrag kam durch die Vermittlung deutscher Kaufleute aus Nowgorod zustande. Schon wenige Jahre nach dem Vertragsabschluss wurde dieser von Schweden verletzt. Die Festung Schlüsselburg auf der Insel Orechowy („Nussinsel“) wurde von der deutschen Wehrmacht durch Artilleriebeschuss stark zerstört, allerdings nie eingenommen.
Und wenn wir uns die Erdkugel auf dem folgenden Bild anschauen, sehen wir das auch russische Künstler den Kriegswahnsinn über die ganze Erdkugel ausdehnen können.
Einen fernen Blick werfe ich noch auf die Weite des Ladogasees.
Dann habe ich, was ebenfalls im März nicht möglich war, eine Bootsfahrt auf der Newa und den kleinen Kanälen unternommen. Das ist auch die angenehmste Weise Petersburg architektonisch kennenzulernen ohne sich die Füsse wund zu laufen.
Die Bootsfahrt durch den Kanal, ca 1 1/4 Stunde, war interessant und entspannend. Ein Mann in meinem Alter spricht die ganze Zeit erklärend in Russisch ins Mikrofon über die Geschichte des Kanals und der anliegenden Bauten mit seiner leicht singenden melancholischen Stimme die sehr gut zur aktuellen Gesamtsituation passt. Nur sieben Leute befanden sich im großen Boot, die Konkurrenz der Boote ist gewaltig. Preise für eine Tour zwischen 800 und 1500 Rubel. Stehend sollte man besser nicht unter die niedrigen Brücken fahren. Guten Apfel Cider gibt es nicht wie bei uns in Lettland oder Deutschland mit chemischen Aroma sondern aus richtigen Apfelsaft gemacht, kostet ca. eine Dose 80 Cent allerdings sind die Füllmengen in den Dosen eigentlich nie 0,5 Liter sondern meist 0,45 oder 0,4 ebenso beim Bier und manchen anderen Produkten.
In der aserbaidschanischen Schaschlik Bar eine nette Frau getroffen, sie würde gerne nach Deutschland zum Arbeiten fahren aber Visa sind sehr teuer.
Noch schwieriger ist es für sie nach England zu kommen wo sie Verwandte hat, ein Visa dorthin ist geradezu unmöglich.
Es folgt Teil 2, Moskau und der Flug nach Kamtschatka.