Do. Nov 21st, 2024

Plakat der Stadt Riga: „Der Ukrainer kann gewinnen. Gemeinsam für den ukrainischen Sieg!“ Foto: Udo Bongartz.

Einst zeichnete sich Diplomatie dadurch aus, Worte bedächtig zu wählen, die Interessen des eigenen Landes zur Geltung zu bringen, indem man vorsichtig, für die eigene Position gewinnend auftritt und Widersacher nicht öffentlich provoziert. Doch die Zeiten ändern sich. Erinnert sei an den ehemaligen ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, der seine Gegner, meistens Entspannungspolitiker, schon mal als „Arschloch“, „beleidigte Leberwurst“ oder „Hexe“ bezeichnete (telepolis.de).

Der lettische Staatspräsident Edgars Rinkevics tritt in Melnyks Fußstapfen. Am 15. März 2024 twitterte bzw. xte er folgenden Tweet, in welchem er sich mit seinem Amtskollegen Emmanuel Macron solidarisch zeigte. Der Franzose erwägt bekanntlich, NATO-Bodentruppen in die Ukraine zu schicken und akzeptiert keine roten Linien der Eskalation. Bei baltischen Politikern findet Macron Anklang, so auch bei Rinkevics, der ihm mit folgenden X-Worten sekundierte:

„Ich unterstütze vollständig @Emmanuel Macron: Wir sollten keine roten Linien für uns selbst ziehen, wir müssen rote Linien für Russland ziehen und wir sollten uns nicht fürchten, sie durchzusetzen. Die Ukraine muss gewinnen. Russland muss geschlagen werden. Russland delenda est.“

Manchen wird der letzte Satz aus dem Latein- oder Geschichtsunterricht bekannt vorkommen. Er geht auf den altrömischen Staatsmann und Geschichtsschreiber Cato den Älteren zurück, dessen Reden stets mit diesem Satz, auf Karthago bezogen, endeten. Karthago war im 3. Jahrhundert vor Christus der imperialistische Konkurrent des aufsteigenden Römischen Reichs. Die Römer vermochten die Karthager im dritten Punischen Krieg 146 v. Chr. vernichtend zu schlagen: Carthaginem esse delendam.

Diese wenig diplomatische Wunschvorstellung, die vielleicht manche Vergeltungsfantasie im heimischen Publikum befriedigt, aber auf internationalem Parkett eine ähnliche Wirkung entfaltet wie eine Schlägerei unter Raufbolden auf dem Schulhof, vernahm dann auch ein entsprechender Widersacher, der, das diplomatische Niveau betreffend, Lettlands ehemaligem Außenminister Rinkevics das Wasser zu reichen weiß. Dmitri Medwedew, einst Interimspräsident der Russischen Föderation und enger Gefolgsmann Wladimir Putins, xte am selben Tag:

„Einige Nazi-Bastarde, die Russlands Tod wünschen, wie Rinkevics, der Präsident eines nicht existierenden Lettlands, sollten sich an das Schicksal der Faschisten erinnern, inklusive des Charkow-Prozesses von 1943. Vergeltung ist unvermeidlich. Memento mori!“

Auch Medwedew parierte also mit Lateinkenntnissen: Memento mori! Gedenke des Todes! Unter seinem Tweet präsentierte der russische Politiker das Foto einer historischen Hinrichtungsszene mit Menschen, Verurteilten und Henkern, die vor vier Galgen stehen, umzingelt von der sensationslüsternen Menge. Medwedew erinnerte damit an den ersten öffentlichen Kriegsverbrecherprozess des Zweiten Weltkriegs gegen drei deutsche Militärs und einen sowjetischen Kollaborateur, die wegen des tausendfachen Mordes an sowjetischen Bürgern zum Tode verurteilt worden waren.

Solche Attacken, die eher an einen Stammtisch wutschnaubender Bürger erinnern als an eine Auseinandersetzung international agierender Staatsmänner, kennzeichnet offenbar das geistige Vermögen des derzeitigen politischen Spitzenpersonals in West und Ost. Das verheißt nichts Gutes angesichts der weltweiten Lage. Übrigens ließ sich Deutschlands oberste Spitzendiplomatin Annalena Baerbock nicht lumpen und stimmte bespielsweise schon am Anfang des russischen Angriffs mit der Absicht, durch Sanktionen „Russland zu ruinieren“ in den diplomatischen Chor dieser Tage ein. Baerbock hatte sich von der baltischen Politik beeindruckt gezeigt. Von den drei baltischen Staaten könne Deutschland „viel über Wehrhaftigkeit lernen“ und auf ihrer Reise nach Riga im April 2022 wollte sie ihren Gastgebern, unter ihnen Rinkevics, damals noch Außenminister, „genau zuhören“ (tagesschau.de). Inzwischen scheint sich „Charkow Trial“ für die deutsche Wirtschaft zu wiederholen: Nach Aussage des US-Ökonomen Richard D. Wolff treffen die von der EU beschlossenen Sanktionen Deutschland deutlich härter als Russland (youtube.de).

Das Establishment des Westens befindet sich in der Zwickmühle, denn der verheißene Endsieg für die Ukraine erweist sich als Fata Morgana, da könnten – diesmal im übertragenen Sinne – Köpfe rollen; derjenige der US-Diplomatin Victoria Nuland, maßgeblich verantwortlich für den Maidan-Umsturz von 2014, fiel bereits (youtube.de). Äußerungen wie die von Emmanuel Macron deuten auf Verzweiflung und Bereitschaft zu unverantwortlichem Agieren. Doch statt dem Papst beizupflichten, der sofortige Verhandlungen wünscht (vaticannews.va), befindet sich das politische Personal weiterhin im Kriegsmodus und zwingt Soldaten, sich für einen aussichtslosen Stellungskrieg zu opfern. Das entbehrt nicht eines gewissen Zynismus`, den Martin Sonneborn, EU-Abgeordneter und Vorsitzender der Satire-Partei „Die Partei“ für das EU-Personal wie folgt auf den Punkt bringt:

„Die Trägerin des Friedensnobelpreises, EU, lehnt es nun seit zwei Jahren rundheraus ab, die europäische Erfindung der Diplomatie, zur Befriedung ihres eigenen Kontinents einzusetzen und zieht es stattdessen vor, sich mit einem Geld, das zu gleichen Teilen geliehen (Finanzmärkte), gestohlen (russisches Staatsvermögen) und selbst gebastelt ist (EZB-Kartoffeldruck), für denselben großen Konflikt zu rüsten, den aufzuhalten sie sich gleichzeitig beharrlich weigert.“ (youtube.de)

Weitere Beiträge zum Thema:

“Schweinisch behandelt” -Russisch-lettische Provokationen statt Verhandlungen – Lett-landweit (lettlandweit.info)

Nützliche Panik: Russlands Angriff auf die NATO – Lett-landweit (lettlandweit.info)

Martialisches Gezwitscher 1: Der Sprachtest – Lett-landweit (lettlandweit.info)

Ein Gedanke zu „Martialisches Gezwitscher 2: Russia delenda est“
  1. Die Story liest sich wie eine aus dem Eulenspiegel!

    Vielleicht hat Herr Rinkewitsch nicht genügend Abstand. Wie lange brauchen die Russen von Pytalowo bis Ventspils? Ich glaube, nicht lange. Früher haben mir die Latviesi immer viel von ihrer Milestiba zu ihrer Zeme erzählt. Alles wohl nur Rumms und Rauch.

    Macron wird gar nix schicken. Keine Waffen und kein Fußvolk. Hat selber genug Probleme. In Afrika, auf dem Konto und mit dem großen Bruder, der obendrein gerade über seine Frau lästert. Könnte passieren, daß er demnächst ausrutscht.

    Bloß gut, daß es bei den Russen noch ein paar Politiker der alten (Benimm-) Schule gibt

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