Plan
Die Idee kam mir vor einigen Monaten, als ich in Riga sah, dass Direktbusse nach Kiew verkehren, eine Fahrt kostete etwa 80 EUR.
Nachdem schon die ganze Kriegszeit über ich mit vielen Menschen, Letten, Deutschen, Engländern, Russen über die Ursachen und Folgen diskutiert hatte, wurde der Gedanke immer klarer, dass ich selber mal in die Ukraine fahren müsste, um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen und mich mit den dortigen Menschen zu unterhalten.
Nun ergab es sich, dass ein Bekannter mit Russischkenntnissen – und prorussisch eingestellt – seinen Landrover in Bulgarien gelassen hatte um ihn abzuholen. Er war bereit, mit mir in die Ukraine zu fahren um das Fahrzeug über die Ukraine nach Polen zu transferieren. Einem lettischen Bekannten mit sehr guten Russischkentnissen, der eine proukrainische Haltung vertrat, erzählte ich die Möglichkeit mit uns zusammen die Reise in die Ukraine zu unternehmen. Nach einem Vorgespräch entschieden wir uns am 23. Mai 2023, in Riga das Flugzeug nach Burgos zu besteigen, um uns dann in Varna von meinem deutschen Bekannten mit dem Landrover abholen zu lassen. Unser Plan war von Bulgarien über Rumänien, Moldawien in die Ukraine einzureisen und Odessa als Ziel anzuvisieren, wo ich schon 2005, 2011, 2015 und 2017 gewesen war (siehe dazu Kultur.lv Rubrik Reisen).
Die Sichtweise eines ukrainischen Seemanns
Busbahnhof Varna mit Busverbindung nach Odessa
Im Bus von Burgas nach Varna habe ich mich auf englisch mit einem ukrainischen Seemann unterhalten. Er war ca. 33 Jahre alt, schon seit 11 Jahren auf See beschäftigt für eine italienische Reederei, seine Familie lebt in der Ukraine zwischen Cherson und Odessa. Nun hatte er mehrere Wochen Urlaub. Da er seit 6 Monaten seine Frau und seinen 15jährigen Sohn nicht mehr gesehen hatte, lud er sie ein, ihn in Bulgarien zu besuchen. Er selbst scheute sich, in die Heimat zurückzukehren, weil er dann direkt zum Militärdienst eingezogen würde.
Dann sprachen wir über die Situation in der Ukraine, über den Krieg. Mehr als die Hälfte seiner Freunde und Bekannten seien mittlerweile eingezogen worden und viele davon bereits tot, sagte er mir. Das größte Problem an diesem Krieg wäre, dass die gut ausgebildeten intelligenten jungen Menschen in der Ukraine im Krieg sterben würden und das wäre sozusagen ein kultureller Genozid, da im Gegenzug die Russen darauf achten, nur „minderwertige“ Menschen aus Gefängnissen und unausgebildete Menschen aus der fernen Steppe in den Krieg zu schicken.
Auf die Frage wie es denn weitergehen soll, meinte er, dass die Unterstützer der Ukraine, sprich der Westen, bei etwaigen Friedensverhandlungen durchaus ein großes Mitspracherecht hätten, das heißt nicht, die Ukraine alleine könne entscheiden, ob Gebiete den Russen überlassen werden, sondern auch der Westen müsste das durch seine geleistete Waffenhilfe mit entscheiden. Dann berichtete er noch, dass besonders in Odessa in der letzten Zeit Militärtransporter am Strand auftauchen, die dort gezielt alle Besucher, die zwischen 18 und 25 Jahre sind, befragen und Ausweispapiere verlangen, und wenn sie sehen, dass es sich um Ukrainer handelt, direkt mit in den Bus nehmen und zur Armee schicken, eine sogenannte Hetzjagd auf Rekruten.
Eine Bulgarin trauert dem Kommunismus hinterher
Dobritsch, eine früher bedeutende Industriestadt, jetzt mit vielen toten und verlassenen Gebäuden.
Dobritsch, der alte halbzerfallene Bahnhof
Dobritsch, der neuere Bahnhof auch in sehr traurigem Zustand, Züge fahren kaum noch.
Dort ergab sich zufällig die Gelegenheit, mich mit einer Bulgarin auf Deutsch über ihre und die allgemeine Haltung ihres Heimatlandes zu Russland zu unterhalten.
In Bulgarien ist die Einstellung bezüglich des Krieges in der Ukraine anders als im Westen.
Die Bulgaren hatten immer ein besonders gutes und enges Verhältnis zu Russland.
Einerseits wegen der Geschichte, Russland hat praktisch Bulgarien aus der türkischen Umklammerung befreit, andererseits bestanden immer sehr tiefe und intensive Handelsbeziehungen, Bulgarien hat also auch technische Unterstützung im großen Stil von Russland erhalten.
Eine Sicherheitsfirma in Dobritsch hat mit einem gewissem Humor die Firma FSB benannt als Nachfolgeorganisation des KGB, siehe Bild.
Das ist einem großen Teil der Bevölkerung bewusst und deshalb sehen sie Russland nicht als ihren Feind an. Sie selber wohnt jetzt schon seit vielen Jahren in Deutschland, da es in der Stadt nach dem Ende des Kommunismus keine Perspektiven mehr gab, alles wurde privatisiert, die grossen Fabriken geschlossen. “Demokratie” in Bulgarien habe nur zu mafiösen Verhältnissen geführt und den ökonomischen Niedergang vorbereitet. Tourismus verlagere sich zunehmend in die Türkei, dort sei besserer Service, gebe es niedrigere Preise …
Im Zentrum dann mit einer anderen alten Frau gesprochen, auch über das was wir von der Bulgarin die in Deutschland lebte erfahren haben, ja, meinte sie, das war eine Kommunistin, da gibt es noch viele bei uns in Bulgarien.
Tatsächlich macht Bulgarien einen etwas verwahrlosten und teils verlassenen Eindruck, erinnert irgendwie an das Jugoslawien der späten 80er Jahre.
Altes verlassenes Haus in einem halbleeren Dorf in Bulgarien
Heisse Quelle in Varna direkt am Meer
Küstenstrasse in Bulgarien, auch mit einem Geländewagen nicht mehr zu befahren
Auf der Fahrt nach Reni durch die ukrainische Grenze
Der Übergangspunkt Jowkowo nach Rumänien ging relativ schnell und unkompliziert, auch wenn die beiden Staaten sich nicht im Schengen-Abkommen befinden; von dort sind wir weiter über Medgidia nach Harsova über die Donaubrücke gefahren, um dann gleich rechts abzubiegen und den Dammweg neben der Donau zu nehmen, dann auf die Nebenstrasse über Chiscani nach Galati zu fahren.
Brücke über die Donau
Dammweg an der Donau
Im Gegensatz zu Bulgarien findet man in Rumänien bessere Strassen, aber auch noch einige wenige Eselskarren vor.
Da wir in Giurgiulesti über die Grenze nur 2 km von Moldawien sahen, konnte man schwerlich auch nur einen flüchtigen Eindruck vom Land bekommen. Die Grenze von Moldawien in die Ukraine (Grenzpunkt Reni) war total überfüllt mit Tanklastwagen. Da die früher durch Russland gesicherte Treibstoffversorgung eingestellt ist, wird das Benzin hauptsächlich über Reni aus Europa eingeführt. Es waren kaum PKW an der Grenze. Uns erwartete eine unangenehme eisige Atmosphäre auf der anderen Seite. Der ukrainische Zoll hat mit 3 Leuten unser Auto mehr als eine Stunde lang durchsucht. Jede einzelne Tasche durchstöberten sie. Vermutlich ist nun jeder Ausländer als Spion oder möglicher Saboteur verdächtig, welcher in Kriegszeiten in die Ukraine einreist. Bis auf ein Fahrzeug mit deutschem Kennzeichen habe ich in der ganzen Ukraine nirgendwo ein ausländisches Fahrzeug gesehen. Der Rubel kann in der Ukraine nicht mehr umgetauscht werden.
Nach ca. 2 Stunden, bei nur 3 PKW vor uns, konnten wir endlich weiterfahren. Es waren um die tausend LKW um Reni platziert, ein kleinerer Teil von ihnen die besagten Tanklastzüge, die meisten aber Getreidelaster; vermutlich wird mittlerweile der Hauptteil des ukrainischen Getreides über den erweiterteten Donauhafen in Reni nach Europa und andere Länder exportiert, da das Getreideabkommen in Odessa auf wackligen Füssen steht.
Ismail, eine ukrainische Stadt am Donauarm und seltsame Denkmalsmoral
Die Nacht verbrachten wir in zwei Zelten neben der Hauptstraße, da in der Dunkelheit gute Plätze zum übernachten kaum zu finden waren.
Morgens dann nach Ismail gefahren und ein Cafe zum frühstücken gesucht. Zunächst fiel uns auf, dass kaum jüngere Männer zu sehen waren; wenn dann waren es Männer, die entweder eine leichte Behinderung aufwiesen oder relativ alt waren. Im Café wollte man uns aus irgendwelchen Gründen am Anfang nicht bedienen. Dann aber sah ich an einem Nebentisch ausnahmsweise einen jungen Mann, der überraschend sehr gut Englisch sprach. Er versuchte dann mit der Bedinung zu klären, dass auch wir ein ukrainisches Frühstück bekommen können, welches nach mehrmaligen Verhandlungen seinerseits auch gelang.
Das ukrainische Frühstück besteht aus einem kleinen Omelett, etwas gebratenem Schinken und Salat. Als wir dann auf das Frühstück warteten, kamen wir weiter ins Gespräch; er hatte einige Jahre in Amerika gelebt, dort seine Ausbildung fortgesetzt und ist jetzt zurückgekehrt in die Ukraine, um bald als Computerspezialist in die Armee einzutreten. Er meinte aber, seine Position sei relativ gut und sicher, jedoch würde die Ukraine immer mehr ihrer ausgebildeten Männer an der Front und durch Flucht ins Ausland verlieren, ebenso werde die Möglichkeit der Ausbildung in zivilen Berufen vernachlässigt, was in der Zukunft ein Problem werde.
In Ismail steht noch ein grosses Denkmal für die Flotte der UdSSR für die Befreiung, welches noch unangetastet ist und gepflegt erscheint.
Diese Denkmäler bereiten den Ukrainern Kopfzerbrechen, denn sie haben zusammen mit den Russen viele Männer im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die deutschen Besatzer verloren.Allerdings sind nun die Russen ihre Feinde, da sie selbst von ihnen angegriffen wurden.
Paralell dazu wird ein Suworow Denkmal auf dem Marktplatz teildemontiert, die Statue eingelagert und das Fundament umhüllt, als wenn man es sich später vielleicht nochmal anders überlegen könnte.
Was ist eigentlich so antiukrainisch an Suworow (gelebt 1730 – 1800)? Betrachtet man das Verhältnis Suworows zum heutigen ukrainischen Gebiet, so stellt man fest das er 1778 die christliche Bevölkerung aus dem Krimkhanat rettete und aufs russisches Territorium umzusiedelte. Das heisst er befreitete christlich orthodoxe Einwohner, welche unter islamischer Unterdrückung auf der Krim lebten.
Fühlen sich etwa die heutigen Ukrainer der türkisch islamischen Bevölkerungsgruppe zugehörig? Oder will man damit die russischen Eroberung der Krim, besiegelt 1792, ebenfalls als Verbrechen kennzeichnen, obwohl unter dem Krimkhanat nachweislich Eroberungszüge auf dem ukrainischen Gebiet abgehalten wurden um Menschen zu fangen und als Sklaven zu verkaufen? Oder ist das ein Hinweis auf die Unterdrückung der Krimtataren in der Sowjetzeit, also sollte man vielleicht den Krimtataren die Krim zurückgeben, dann wäre die allerdings ziemlich leer?
Eigentlich hätte dann historisch gesehen die Türkei ein grösseres Anrecht auf Rückgabe der Krim als die Ukraine.
Und hier könnte man noch aktuell ergänzen, das mittlerweile der alte Disput Türkei – Russland wieder am aufleben ist denn die Türkei beginnt ebenfalls an ihre alten historischen Ansprüche anknüpfen zu wollen.
Fortsetzung folgt!
Die Bulgaren sehen also Russland nicht als ihren Feind an… Nun, ich weiß nicht, wie die Mehrheit der Bulgaren diesen Krieg sieht, aber ich weiß, dass die Japaner Hitler auch nicht als ihren Feind angesehen haben. Hat also Hitler doch nicht ganz unrecht gehabt in seinem unüberbietbaren Wahn? Eine seltsame Logik, fürwahr…
Und erst Stalin. Unter kundigen Historikern ist ja mittlerweile unumstritten, dass Stalin in Bezug auf die Ukraine Genozid betrieben hat (ok, eigentlich sogar auch gegen die Russen).
Was Zivilisation vermag, haben Tschechen und Slowaken einst vorgezeigt, die Slowaken wollten ihren eigenen Staat und das ging quasi reibungslos über die politische Bühne. Von einem missinterpretierenden Gorilla-Imitat (mächtiges Brustgetrommel!) wie Putin wäre das freilich, wie wir wissen, zuviel verlangt. Er beharrt sichtlich noch auf seinem Dasein als Dschungelbewohner.
Er soll krepieren, die einzige gute hoffentliche Tat eines Prigoschin oder wer auch immer, er mag auch cancro heißen…
Vielen Dank für die Reportage! Der neutrale Ansatz dieser Reise hebt sich angenehm ab von dem, was wir in Deutschland offiziell geboten bekommen.
Frau Holofernes, ist das Haar in der Suppe alles, was Sie dem Artikel entnommen haben? Ihr Kommentar ist dann eher manisches Mitteilungsbedürfnis bei mäßigem Inhalt.
Ich danke Ihnen vielmals für Ihren Bericht. Ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wie es den Menschen in der Ukraine wirklich ergeht. Auch wenn Sie nur einen kleinen Lichtkegel in das Dunkel richten konnten so reichen meine Fantasie und Lebenserfahrung doch aus um mir ein Bild des düsteren Ganzen machen zu können.
Ich würde mir mehr solcher propagandafreien Berichte über die Lebenssituation der zivilen Bevölkerung wünschen!