Ein historisch literarischer Hintergrund
Mittlerweile sind unzählige russische Denkmäler in Europas Staaten abgerissen worden. Es begann 1990 mit den sozialistischen Denkmälern, nun hat es auch vorsozialistische Grössen wie Puschkin, Katharina die Grosse, Suworow und andere umgeworfen.
In einem Gespräch mit einem nationalistischen Letten im Bezug auf den Abriss der Puschkin Statue in Riga, meinte er, ich solle mal Puschkin lesen, dann würde ich es verstehen.
Gut, im Original für mich nicht möglich, so fand ich eine zweibändige deutschsprachige Werkausgabe .
Beim Durchblättern und durchlesen stiess ich auf folgendes kurzes Gedicht von Puschkin (um 1830):
An die Verleumdner Russlands
Was soll das Wortgelärm, Tribunen fremder Staaten?
Warum mit Fluch und Bann wollt Russland ihr verraten?
Was hat euch so empört? Des Polen Schändlichkeit?
Lasst uns: dies ist ein Streit – ein vom Geschick geweihter!
Von Slawen unter sich, im eigenen Haus der Streiter,
Und eine Frage, der – ihr nicht gewachsen seid.
Seit langem sich befeindend, prallten
zusammen diese Stämme; oft
Erzwangen eifernde Gewalten,
Das einer wankt, der andere hofft.
Wes Sieg wird diesen Streit beschließen,
Des Polen Dünkel, Russlands Treu?
Ob Slawenflüsse sich ins Russenmeer ergießen?
Ob es versiecht? – fragt man aufs neu.
Lasst uns: nicht lesen könnt, nicht streichen
Ihr dieser Tafel blutige Zeichen.
Euch ist er fremd, unfassbar ist
Euch dieser brüderliche Zwist;
Für euch der Kreml und Prager schweigen
Doch der Versuchung Wahn erfasst
Euch bei des Kampfes tollem Reigen –
Und heimlich sind wir euch verhasst…
Warum? Darum, dass Selbstvergessen
Im roten Feuermeer von Moskaus Flammenbrand
Wir nicht den Willen anerkannt
Dem ihr euch beugtet unterdessen?
Das unserem lohen Opfermut
Den Abgott eurer Welt zu stürzen war beschieden?
Das knospend blüht aus unserem Blut
Europas Freiheit, Ehre, Frieden?
Ihr führt das große Wort – versucht die großen Taten.
Meint ihr, der alte Held muss sich zuvor beraten,
Ehe er das Bajonett von Ismail erfasst?
Vermag das Russentum sein Recht nicht zu verfechten?
Nicht mit Europa mehr zur Rechten?
Ward Siegen uns zu einer Last?
Sind wir gering an Zahl? Von Perm bis Tauris Fluten
Von Finnlands Eisgranit zu Kolchis Sonnengluten,
Vom Kreml, der sturmerschüttert harrt,
Zur Mauer Chinas, des erstarrten,
Entrollte rauschende Standarten
Des Reusenheeres Reicheswart.
So sendet her, ihr Völkerführer,
Die Söldner eurer Niedertracht:
In Russlands Feldern wartet ihre
Nicht unbekannter Gräber Gracht.
Hier wird vieles angesprochen.
Auf den ersten Blick ist klar, Puschkin ist glühender Patriot.
Dazu muss man aber die Situation Puschkins verstehen, er war gewissermassen und nicht ganz freiwillig „Hofschreiber“, der Zar zensierte, prüfte alle seine Veröffentlichungen, da er mehrfach sich kritisch gegenüber dem russischen Staatssystem geäussert hatte.
Anlass ist der polnische Aufstand 1830.
In dieser kriegerischen Auseinandersetzung welche der Verletzung der Autonomie Restpolens durch Russland entsprang, bildeten sich aus Kadetten, Studenten und Adeligen eine Bewegung, welcher allerdings die einfachen Bauern weitgehend fernstanden, da ob polnisch oder russisch, ihr Schicksal sich nicht ändern würde. Grosse Anteilnahme fand dieser Aufstand oder Krieg im Ausland, wo grosse Sympathiebekundungen für ein freies Polen die Runde machten.
Zum weiteren wird auf den Kampf gegen Napoleon Bezug genommen, denn Russland rettete Europa, insbesondere Preussen vor der französischen Versklavung.
Der Herausgeber dieses zweibändigen Werkes über Puschkin, Artur Luther, schreibt in seiner Einleitung zu Puschkins Stück (1923), der eherne Reiter:
„Man hat Russland einen Koloss auf tönernen Füßen genannt. Die Bezeichnung entstand, weil man das unorganische, überstürzte der Entwicklung des Riesenreiches fühlte. Auch die alten Slavophilen standen auf diesem Standpunkt, ihnen erschien die Europäisierung Russlands durch Peter den Grossen als gewaltsame Unterbrechung des natürlichen Entwicklungsganges, als Abweichen vom geraden Wege, dass sich früher oder später rächen müsste.
Ähnliche Gedanken scheinen auch Puschkin bewegt zu haben, als er seinen Ehernen Reiter schuf. Peter hat dem Volk und der Natur seinen Willen aufgezwungen, aber die unterdrückten Gewalten heben das Haupt immer wieder und suchen das Werk des Grossen zu zerstören, so wird auch die Überschwemmung zum Symbol des ewigen Kampfes zwischen Natur- und Menschenwillen.
Meer und Sturm scheinen gegenüber der übermenschlichen Größe des ehernen Reiters machtlos, wohl schlagen die Fluten gegen den Fels, auf dem das Standbild emporragt, aber sie können den Fels nicht fortschwemmen und das Standbild nicht stürzen.“
Zar Alexander I hat die grosse Flut in Petersburg 1824 mehr oder minder tatenlos miterleben müssen, was ihn zu seinem melancholische Rückzug und Tod in Taganrog führte. Er war des Herrschens müde und sah die Vergeblichkeit all seiner Mühen. Nach russischen Gerüchten soll er seinen Tod vorgetäuscht haben um dann unerkannt als Bettler durch Sibierien gezogen sein. Auch Puschkin kannte diese Flut, daher das Stück der eherne Reiter, wo ein einfacher Mensch sein Hab und Gut verliert und verzweifelt am Standbild Peters des Grossen steht, welches ihn verfolgt bis in den tödlichen Wahnsinn. Hier klingt das alles schon nicht mehr patriotisch sondern skeptisch.
Ismail, Befreiung und Versklavung?
Und ganz aktuell der Bezug zu Ismail, welches im russisch türkischen Krieg 1790 von den Russen durch Suworow(vom Islam) befreit wurde.
Anfang Juni 2023 ( siehe auch die 4 Ukraineberichte in diesem Magazin) wird ein Suworow Denkmal auf dem Marktplatz in Ismail teildemontiert, die Statue eingelagert und das Fundament umhüllt, als wenn man es sich später vielleicht nochmal anders überlegen könnte.
Was ist eigentlich so antiukrainisch an Suworow (gelebt 1730 – 1800)? Betrachtet man das Verhältnis Suworows zum heutigen ukrainischen Gebiet, so stellt man fest das er 1778 die christliche Bevölkerung aus dem Krimkhanat rettete und aufs russisches Territorium umzusiedelte. Das heisst er befreitete christlich orthodoxe Einwohner, welche unter islamischer Unterdrückung auf der Krim lebten und ebenso das türkisch besetzte Ismail 1790.
Fühlen sich etwa die heutigen Ukrainer der türkisch islamischen Bevölkerungsgruppe zugehörig? Oder will man damit die russische Eroberung der Krim, besiegelt 1792, ebenfalls als Verbrechen kennzeichnen, obwohl unter dem Krimkhanat nachweislich Eroberungszüge auf dem ukrainischen Gebiet abgehalten wurden um Menschen zu fangen und als Sklaven zu verkaufen? Oder ist das ein Hinweis auf die Unterdrückung der Krimtataren in der Sowjetzeit, also sollte man vielleicht den Krimtataren die Krim zurückgeben, dann wäre die allerdings ziemlich leer?
Eigentlich hätte dann historisch gesehen die Türkei ein grösseres Anrecht auf Rückgabe der Krim als die Ukraine.
,
Prophezeiungen und Wahrheiten
Interessant und durchaus aktuell ist eine 50 Jahre alte Passage aus einem britischen Spionagthriller:
Aus dem Buch Eiskalt von Len Deighton, 1973 geschrieben, S. 91ff:
„Marx hat seine Theorien mit der Überzeugung als Basis entwickelt, dass Deutschland und nicht Russland der erste sozialistische Staat sein würde. Ein wiedervereinigtes Deutschland könne die Möglichkeit bieten, dass der Marxismus sich endlich einmal unter fairen Umständen beweisen kann.
Wir können da doch nicht einfach immer weiter zusehen sagt Flynn. Auf der halben Welt ist der Marxismus ja schließlich inzwischen gescheitert.
Und bei einer Wiedervereinigung schluckt sowieso die Westzone die Ostzone. Eine Vorstellung die mir im übrigen auch nicht zusagt. Ostzone, sagte Ferdy, sind sie damit nicht ein bisschen hinter der Zeit her, die DDR so nennen sie das jetzt, ich war im letzten Sommer dort mit einer Handelsdelegation, wie die Biber schuften die sich da ab, muss man schon sagen. Wenn sie mich fragen, das sind die Japaner Europas, und genauso tükisch wie die echten.
Aber würden die Sozialisten bei uns eine Wiedervereinigung unterstützen?
Ich glaube nicht, schon allein deswegen nicht, weil das im gegenwärtigen Verhandlungsklima wie eine Kapitulation aussehen würde.
Das ganze ist doch letzten Endes ein Geschäft zwischen den Amerikanern und den Russen und was dabei herauskommen wird, ist ein größeres und stärkeres kapitalistisches Deutschland, nein, vielen Dank.
Die Westdeutschen für sich allein machen uns schon genug Ärger, diese Kerle. Und was ist in diesem Geschäft für uns Yankees drin? Ich wünschte, ich könnte darauf eine Antwort geben, aber ganz bestimmt wird es nichts Angenehmes für uns Briten sein, das ist mal sicher. …
Die gemeinsame Sprache der beiden deutschen Staaten wirkt dabei nicht verbindend, sondern eher irritierend.
Die meisten der west-östlichen Spannungen in Deutschland sind nichts als erweiterte und vergrößerte Projektionen rein lokaler Streitfragen. Die Wiedervereinigung ist unvermeidlich, an diese Vorstellung können sie sich schon mal in aller Ruhe gewöhnen. Niemals, sagte Flynn.
Ein wiedervereinigtes Deutschland, dass sich enger an den Westen anschließt das würde die Russen sehr nervös machen.
Und wenn die Deutschen näher an den Osten heranrücken, dann machen sie uns nervös. Und falls sie, was wahrscheinlicher ist, den Unparteiischen in der Mitte dazwischen zu spielen versuchen, dann könnten wir uns eines Tages leicht an die schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges mit sehnsüchtiger Wehmut erinnern.“
Demokratie in den Medien oder nur in den Kommentaren?
In gewisser Weise scheint die Demokratie sich auf einem schwierigen Prüfstand zu befinden, erst die über zweijährige Coronazeit, wo widersprüchliche Meinungen gelöscht, vervehmt und geächtet wurden. Selbst die Kommentare zu Mitteilungen der offiziellen Medien die fragwürdig waren ,waren wenige und wurden meistens eliminiert.
Die Coronazeit konnte nur durch den Krieg in der Ukraine beendet werden weil nur durch ein drängendes neues Problem konnte die Aufarbeitung eines alten Problems nicht stattfinden.Mit was dieser Krieg durch ein nochmal übergeordnetes Problem beendet werden könnte, – Naturkatastrophe bliebe neben atomarer Verseuchung wohl der letzte Halm an dem sich die Menschheit klammern könnte.
Jetzt seit ca. anderthalb Jahren Ukraine Krieg sieht die Meinungspalette etwas vielfältiger aus.
Auf verschiedenen öffentlichen rechtlichen Medien sind die Artikel meist zwar auch einseitig pro ukrainisch, oft auch unrealistisch, aber die zugelassenen Kommentare beginnen mehr differenziert zu werden, die Folgen und die Ursachen genauer zu benennen versuchen.
Als Optimist könnte ich sagen wir kehren nach dieser Coronapropagandaschlacht langsam wieder in ein differenziertes Weltbild zurück.
Leider wird aber diese Rückkehr mit unzähligem Blut, Verlusten, und physischen wie psychologischen Katastrophen erkauft.
Jetzt wird heiß diskutiert wo der Hase lang läuft, es könnte aber auch sein dass ihm die Beine erlahmen.