Fr. Dez 27th, 2024

Mit dem abzeichnenden Ende des Ersten Weltkrieges verändert sich die politische Situation grundlegend. Russland, durch die Oktoberrevolution stark im Inneren zerrissen und geschwächt, muss den Friedensvertrag von Brest mit den Deutschen unterzeichnen und ebenso im Baltikum.

Allerdings gehen die Kämpfe im Baltikum weiter. Soldaten aus dem Deutschen Reich kämpfen als mehr oder minder freiwillige Söldner meist auf Seiten der im Baltikum verbliebenen zarentreuen Verbände gegen den aufkommenden Bolschewismus noch bis 1921. Parallel dazu beginnt sich der lettische und estnische unabhängige Staat zu bilden, mit Unterstützung vor allem der Engländer. Die Deutschbalten stehen der Entwicklung etwas ratlos gegenüber, es werden Träume gesponnen von der Integration der ehemaligen russischen Ostseeprovinzen in das Deutsche Reich, welches sich aber ebenfalls in Teilauflösung befindet, da der Kaiser abgedankt und über Spa nach Doorn geflohen ist.

Mit der Gründung der baltischen Landeswehr, sie setzt sich aus Deutschbalten, deutschen Soldaten aus dem Reich und zaristischen Russen und wenigen konservativen Letten zusammen, wird die Besetzung des Baltikums durch die Bolschewiken vereitelt.

Parallel dazu existiert die Bermondt-Armee, aus Resten der im Baltikum stationierten russischen Armee, welche traditionell das russische Zarentum verteidigen will und somit gegen die Unabhängigkeit der baltischen Staaten kämpft.

Diese unklaren und unruhigen Zustände werden treffend in folgenden Artikeln beschrieben:

Aus Rigaschen Zeitungen in der Umbruchzeit entnehmen wir folgendes:

Aus dem Revaler Boten von 1923 entnehmen wir über die Verhältnisse in Riga als dem „Tor zu Russland“ folgendes:

Das Problem der baltischen Staaten wird reichlich erörtert, man setzt die Passivität Deutschlands gegen die russischen Aktivitäten der Destabilisierung, unter anderem im Bezug auf den kommunistischen Putschversuch vom 1. Dezember 1924 in Reval.

Ebenso flammt der Konflikt zwischen ukrainischen Nationalisten und dem Sowjetkommunismus wieder auf:

Die Deutschen in Lettland werden weniger, da durch Enteignung Landwirtschaft nicht mehr möglich und gleichzeitig von Ulmanis gegen die Deutschen im Lande gehetzt wird. Lebten 1881 noch rund 180.000 Deutsche in den damaligen russischen Ostseeprovinzen, waren es zu Beginn der 1920er Jahre in den neuen Republiken Estland und Lettland nur noch weniger als die Hälfte. Die russische Sprache in Lettland befindet sich auf dem Rückzug wie man einer Zeitungsanonce entnehmen kann. Dort steht im Bezug auf ein neu herausgegebenes Buch in einer deutschsprachigen Rigaer Zeitung von 1928 lakonisch, „so darf das ersten von ihm veröffentlichte grössere Werk, obgleich es in russischer Sprache, die uns ja immer fremder wird, verfasst ist, auf besonderes Interesse in unserer Stadt rechnen.“

Auch die deutsche Sprache in Lettland wird immer weniger da die offizielle Amtssprache seit 1919 in Lettland lettisch wurde. Etwa ein Viertel der Bevölkerung Lettlands bestand aus ethnischen Minoritäten nach den Russen und Juden standen die Deutschen mit ca. 3 % an dittter Stelle.


Nationalität
192019251935
Anzahlin %Anzahlin %Anzahlin %
Letten1.161.40472,81.354.12673,41.472.61275,5
Russen91.4775,73193.64810,5206.49910,6
Weißrussen66.1944,238.0102,126.8671,4
Ukrainer1.0400,15120,01.8440,1
Polen52.2443,351.1432,848.9492,5
Litauer25.5381,623.1921,322.9131,2
Juden79.3685,095.6755,293.4794,8
Roma1.0230,12.8700,23.8390,2
Deutsche58.0973,670.9643,862.1443,2
Esten8.7010,67.8930,47.0140,4
Liven8310,11.2680,19440,0
Übrige50.2142,95.5040,33.3980,2
Gesamt1.596.1311.844.8051.950.502
Daten aus: Ceturtā tautas skaitīšana [Die vierte Volkszählung], Bērziņš (Hg.): Latvijas vēsture [Geschichte Lettlands] (Anm. 5), S. 108; Ceturtā tautas skaitīšana Latvijā 1935. gadā [Die vierte Volkszählung Lettlands von 1935]. IV: Tautība [Nationalität]. Riga 1937, S. 286-288.

Der Ribbentrop – Molotow Pakt zwischen Deutschland und Russland mit dem geheimen Zusatzprotokoll der Aufteilung der Länder Osteuropas, u.a. auch des Baltikums an Russland, der etwas spätere Grenzvertrag zwischen Russland und Deutschland beinhaltete auch die Aussiedlung der Balten- und Russlanddeutschen aus dem bald sowjetisch werdenden Gebieten. Deshalb wurde Ende Oktober 1939 wird eine Vereinbarung mit der estnischen und lettischen Regierung geschlossen:

„Die Lettische Regierung verpflichtet sich, diejenigen lettischen Staatsangehörigen deutscher Volkszugehörigkeit aus der lettischen Staatsangehörigkeit zu entlassen, welche bis zum 15. Dezember 1939 freiwillig ihren Entschluß bekunden, für alle Zeiten aus der lettischen Staatsangehörigkeit auszuscheiden und ihren ständigen Wohnsitz in Lettland zu verlassen.“ Drei wesentliche Gründe verursachten die fast vollständige Auswanderung der Deutschbalten und Reichsdeutschen aus den beiden baltischen Staaten:

  1. Die Propaganda Hitlers durch Reden und Aufrufe an die Deutschbalten das Land zu verlassen
  2. Die Hetze Ulmanis gegen die Deutschbalten
  3. Die Angst vor Stalin und vor einer Besetzung des Baltikums durch Sowjetrussland

Noch zwei Monate vor der Besetzung des Baltikums liest man folgendes in der Frankfurter Zeitung:

Es ist nicht so, dass man in Moskau den Zwiespalt der Gefühle einfach übersehen hätte, der beim Abschluss der Beistandspakte vom Herbst des vergangenen Jahres die Esten, Letten und Litauer beseelen musste. Im Gegenteil, man hat sich hier fortgesetzt Mühe gegeben, alle Zweifel zu beschwichtigen. Ganz offensichtlich lag den Russen daran das Vertrauen der baltischen Öffentlichkeit zu wecken und zu stärken, das Vertrauen nämlich zu dem ehrlichen Willen der Sowjetunion. Umso lebhafter wird aber heute in Moskau die Befriedigung darüber empfunden, dass sich eine realpolitische Beurteilung in den baltischen Staaten immer stärker durchzusetzen scheint. Das baltische Küstengebiet ist in der Geschichte immer heftig umstritten gewesen. Hier überschnitten sich sehr verschiedenartige Interessen der Ostsee-mächte. Auch nach dem Weltkrieg stand die Politik der zur Selbstständigkeit geführten drei kleinen Nationen durchaus nicht unter einem gemeinsamen Stern. Vom Litauen konnte man in gewisser Zeitabschnitten sagen, es haltet sich auf der Linie moskau-berlin. Seine Beziehung zur Sowjetunion wurden hauptsächlich durch die polnische Frage bestimmt. In kritischen Augenblicken fand die kleine Republik denn auch die Unterstützung der östlichen Großmacht. Die Entscheidung der Botschafterkonferenz die 1923 Wilna den Polen zusprach, wurde in der russischen Öffentlichkeit schärfster Kritik unterzogen die Sowjetunion hat den Anschluss Wilnas an Polen niemals anerkannt. Als Polen dann im März 1938 zu einem zweiten Handstreich gegen Litauen rüstete, setzte der Kreml den Warschauer Begehrlichkeiten einen wirksamen Dämpfer auf. So gibt es zwischen der Sowjetunion und Litauen eine gute Tradition. Das freundschaftliche Einvernehmen drückte sich auch daran aus, dass als litauischer Gesandter in Moskau zwei Jahrzehnte hindurch ein Mann tätig war, der als Schöpfer russischer Verse der russischen Literatur angehört und dessen Porträt man seit langem in der Moskauer tritt Tretjakow Galerie gesehen hat, der Lyriker Baltrusaitis.
In Lettland und Estland pflegt man im vergangenen Zeitraum nicht die gleiche Tradition. Abgesehen von der Freundschaft mit Polen kultivierten bestimmte lettische Kreise die Verbundenheit mit England und den Glauben an die Völkerbundspolitik. Die lettischen Staatsmänner gaben sich in Genf ein internationales Profil. Der Außenminister Lettlands, Munters, leitete z.b die Ratsversammlungen, die sich mit der Schlichtung des chinesische japanischen Konflikts oder auch mit der Beiligung des abessinischen Krieges befassen sollten. Die junge Freundschaft mit der Sowjetunion gründete sich daher in Lettland nicht auf ein ähnliches Fundament von Dankbarkeit und Vertrauen wie in Litauen, der realistische Sinn hat hier erst helfen müssen, alte Neigungen zurückzudrängen, die bei der heutigen Lage der Dinge nur noch Enttäuschungen bringen könnten. Dennoch erkennt man in Moskau an, dass die lettische Staatsführung aufrichtig jeden missverständlichen Eindruck zu vermeiden wünschte, wie er etwa von einer unzeitgemässen Intimität mit den Westmächten hätte ausgehen können. Noch stärker haben sich derartige Sympatien in Estland verflüchtigt, wo man der Neuordnung in elastischer Weise gerecht zu werden versteht.

Heute besteht über den Umfang der sowjetrussischen Bestrebungen im Ostseebereich keine Unklarheit mehr. Der Sowjetunion scheint an den baltischen Küsten nicht die Ausbreitung einer bestimmten Ideologie am Herzen zu liegen. Was den Russen offenbar vorschwebt, unterscheidet sich in nichts von einer militärischen Institution, wie sie etwa England bereits in Gibraltar besitzt. Die Moskauer Staatsmänner hatten in jenen entscheidenden Tagen im September und Oktober des vergangenen Jahres den Unterhändlern aus Estland Lettland und Litauen ausdrücklich zugesichert, dass die russischen Besatzungstruppen an den inneren Verhältnissen des Gastlandes uninteressiert seien und sich entsprechend verhalten würden. Heute nach mehr als einem halben Jahr des Zusammenlebens mit den russischen Garnisonen besteht in den baltischen Staaten Gewissheit darüber, dass das Wort des Kremls von jedem einzelnen russischen Soldaten respektiert wird. Aus allen Gesprächen die man auf der Reise durch die baltischen Städte mit Esten, Letten oder Litauen führt, klingt die feste Überzeugung heraus, dass man nicht am Anfang einer unübersehbaren Entwicklung stehe. Überall betrachtet man den gegenwärtigen Zustand als stabil….
Durch die erhöhte Einfuhr aus der Sowjetunion ist es Litauen bereits ermöglicht worden die Rationierung von Treibstoff aufzuheben. Die kleine litauische Textilindustrie versorgt sich mit russischer Baumwolle. Auch russische Nähmaschinen und landwirtschaftliche Maschinen werden in Litauen ausprobiert, während der Sowjetrussische Versorgungsapparat litauische Milchprodukte und Schweine übernimmt. Auch in Estland interessiert man sich unter anderem für die russische Baumwollproduktion, während man selbst ganz neuartige Aufträge erwartet, z.b instandsetzungsarbeiten an sowjetrussischem Schiffen, welche die estnischen Werften übernehmen wollen. Überhaupt spielt das Interesse an gegenseitigen Dienstleistungen bei der praktischen Zusammenarbeit eine bedeutende Rolle. Die Sowjetunion benutzt im verstärkten Maße die baltischen Häfen. Andererseits steht für den baltischen Export der Durchgangsweg zum weißen Meere und das Flusssystem zum schwarzen Meere offen, die baltische Ausfuhr nach dem fernen Osten nimmt gegenwärtig ihren Weg über den Hafen von Odessa.

Diese positive Beurteilung Sowjetrusslands ändert sich abrupt mit dem Einmarsch Russlands ins Baltikum. Trotz der geheimen vereinbarten Aufteilung Osteuropa und des Zugeständnisses das das Baltikum zur russichen Interessensphäre gehört wird der Krieg gegen Russland begonnen. Der Botschafter Schulenburg in Moskau äusserst sich in einem Memorandum an Molotow am 22. Juni 1941 folgend:

Die Sowjetunion habe den Nichtangriffspakt durch den Aufmarsch der Roten Armee an der Grenze, konspirative Tätigkeit der Komintern in Deutschland sowie die Annexion Ostpolens und der baltischen Staaten gebrochen und sei dem Krieg führenden Deutschland damit „in den Rücken gefallen“. Die Wehrmacht habe Befehl, „dieser Bedrohung mit allen zur Verfügung stehenden Machtmitteln entgegenzutreten

Aus dem Buch, Das Jahr des Grauens, Lettland unter der Herrschaft des Bolschewismus 1940/1941, Riga 1943 können wir vermutlich teils durch NS Propaganda übertrieben entnehmen, was in dem knappen Jahr der Sowjetokkupation in Lettland passierte:

Einen ähnlichen Bericht könnte man aber auch über die NS Judenvernichtung und die damit einhergehenden Greuel und Untaten vorlegen.

Schon Ende Juni ist der Grossteils des Baltikums in deutsche Hand gelangt, die meisten Einwohner begrüssen die Deutschen als Befreier nachdem sie ein Jahr unter bolschewistischen Enteignungen und Deportationen gelitten hatten. Folgerichtig wurden dann durch NS Propaganda SS Legionen im Baltikum gebildet, mit Ausnahme von Litauen wo die Aktion anscheinend nicht auf genügend Resonanz traf:

1945 war allerdings der Krieg beendet, Russland hat bedeutenden Geländegewinne gemacht unter anderem auch das Baltikum sich wieder einverleibt. Der Diktator Stalin wurde in seiner Macht bestärkt obwohl er ähnlich wie Hitler mit Vernichtungslagern und Deportationen agiert hat. Deutschland wurde geschrumpft und das Verhältnis der Deutschen und Russen auf Eis gelegt, es begann der kalte Krieg.

Ein Gedanke zu „Die Beziehung, der Deutschbalten und Deutschen zu Russland von 1915 bis 1945“
  1. Das Traurige in diese Geschichte ist, daß lettische Politiker (mit einigen Ausnahmen) bis heute nicht erkennen, daß Verlust von den Deutschbalten auch ein Verlust für das Land ist. Und es ist spürbar bis heute…

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