Mi.. Feb. 5th, 2025

Screenshot der Online-Konferenz mit Olga Karach und Tord Björk.

Den folgenden Witz, den Olga Karach in einem Gespräch erzählte, trifft auf den Zustand des Westens im Allgemeinen zu. Deutsche könnten ihn angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl auch auf die Situation im eigenen Land beziehen: „Der Pessimist sagt: Nun ist es am schlimmsten. Der Optimist widerspricht: Nein, es wird noch schlimmer!“

Olga Karach liebt Witze. Ihr Humor ist ein Mittel, die Bedrohungen und Verfolgungen zu verarbeiten, denen sie und ihre MitaktivistInnen in Ost und West ausgesetzt sind. Denn Repressionen sind nicht länger eine Spezialität ihres Heimatlandes Belarus, wo das Lukaschenko-Regime sie als „Terroristin“ einstuft; auch in ihrem Exilland Litauen herrscht für AktivistInnen nicht gerade Willkommenskultur, wenn sie pazifistisch gesinnt sind und sich für Menschenrechte engagieren. Darüber sprach sie in einer Online-Konferenz mit dem schwedischen Umwelt- und Friedensaktivisten Tord Björk, der über ähnliche Erfahrungen berichtete.

Karach und Björk waren Teilnehmer der Konferenz „Volk und Frieden“, die vom 17. bis 19. Januar 2025 im schwedischen Sälen stattfand (youtube.de). Karach, die die Menschenrechtsorganisation „Unser Haus“ leitet, machte eine wunderliche Erfahrung mit den Worten eines litauischen Politikers, der Belarussen zusagte, sie sollten sich in seinem Land „wie zuhause“ fühlen. Diese Verheißung erfüllte sich auf eigenartige Weise. Sie und ihre GesinnungsgefährtInnen sehen sich nun vom litauischen Staatsapparat einem Druck ausgesetzt, den sie schon in Belarus kennengelernt hatten.

Die Pazifistin beobachtet eine fortschreitende Diskursverengung in Vilnius. Wer Tabu-Themen anspricht, riskiert den Ausschluss aus öffentlichen Debatten. Beispielsweise ist die Tatsache, dass längst nicht alle ukrainischen Männer freiwillig an der Front kämpfen, ein solch unsagbares Argument, das die litauische Öffentlichkeit nicht hören will. Belarussische Oppositionelle, die nicht nur die Verhältnisse im eigenen Land kritisieren, sondern auch den westlichen Kurs der Militarisierung verurteilen, müssen mit staatlichen Konsequenzen rechnen.

Litauens Ministerien und Behörden etikettieren ihre Überwachungsmaßnahmen als Erfordernis für die „Sicherheit“ des Landes; das ist ein gesellschaftlich geschätztes Hochwertwort, mit dem Herrschenden die Manipulation leicht fällt. Kritiker der westlichen NATO-Stratcom-Propaganda gelten demnach als Sicherheitsrisiko und müssen ihre Abschiebung nach Belarus fürchten, wo ihnen häufig langjährige Haftstrafen drohen. In ihrer Heimat galt Karach als Gefahr für die „Stabilität“ des Landes, gemeint war offensichtlich die Stabilität der Lukaschenko-Herrschaft; in Litauen hat sie nun einen ähnlichen Status. Sie beobachtet, dass westliche Geheimdienste nicht nur Informationen sammeln, um Gesetzesverstöße zu ermitteln, sondern sie gezielt nutzen, um Politik zu machen und die Bevölkerung zu beeinflussen. Die AktivistInnen reiten auf der Rasierklinge: Einerseits setzt das belarussische Regime in der Heimat verbliebene Angehörige unter Druck, wenn Exiloppositionelle im Westen Gehör finden; andererseits droht jenen die Abschiebung aus Litauen, die es wagen, das Selbstbild westlicher Propaganda, den Hort des Friedens und der Freiheit zu verkörpern, öffentlich in Frage stellen.

Tord Björk bestätigte Karachs Wahrnehmung mit Erfahrungen aus dem eigenen Land, das mal als besonders liberal galt. Er nannte das Schicksal eines russischen Oppositionellen als Beispiel, der in Schweden willkommen war und Gehör fand, solange er sich kritisch über die politischen Verhältnisse in Russland äußerte. Als er sich aber erlaubte, in die Ukraine zu reisen und über die dortigen faschistischen Organisationen berichtete, wurde er aus der schwedischen Öffentlichkeit verbannt und erhielt keine Aufträge mehr. Oppositionelle, die nicht den westlichen Stereotypen folgen, müssen zwar noch nicht um Leib und Leben fürchten, doch ihnen droht so etwas wie der „soziale Tod“: Sie kommen in den Medien nicht mehr zu Wort, werden ausgeladen, erhalten keine Aufträge mehr. Tord Björk kämpfte bereits zu Olof Palmes Zeiten für Frieden und Umwelt. Er meint, dass sich die politischen Verhältnisse deutlich verschlimmert haben. Er beobachtet, welchen Druck Staat und kapitalkräftige Privatfirmen ausüben. Während Think Tanks, die im Sinne der Herrschaft agitieren, im Geld schwimmen, trachten Staat und Konzerne danach, der Opposition das Geld zu entziehen. Funktionäre in regierungsunabhängigen und kritischen Organisationen wagen öffentlich nicht mehr, zu bestimmten Themen ihre Meinung zu äußern, weil dies die Finanzierung gefährden könnte.

Wie sollen Oppositionelle sich in diesen düsteren Zeiten wappnen? Olga Karach weist darauf hin, dass die westliche Propaganda der Bevölkerung einen Kriegsmodus vorgaukelt, obwohl sie gar nicht unmittelbar am Krieg beteiligt ist. Bestimmte Informationen nicht zu verbreiten erscheint als entscheidend, um den Sieg zu erringen. Deutschen wird dies beispielsweise an der fragwürdigen und zaghaften Berichterstattung um die Frage vor Augen geführt, wer die Nord-Stream-Röhren in die Luft gesprengt hat. Die Herrschenden agieren militaristisch und wollen von einer Friedensbewegung nicht gestört werden; FriedensaktivistInnen sollen sich unsicher fühlen. Mit der westlichen Toleranz ist es unter solchen Umständen nicht weit her. Kritiker der herrschenden Politik, die nicht das Ziel hat, Kriege schnellstmöglich zu beenden, gelten als unerträglich; Behörden und Medien unterstellen ihnen, Agenten des Feindes zu sein. Auch das kommt aus Belarus oder Russland bekannt vor. Karach will dem gesellschaftlichen Ausschluss entgegenwirken. Deshalb sucht sie international Kontakt mit gleichgesinnten Menschen und Gruppen; man müsse aufmerksam sein, sich und Kooperationspartner schützen.

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