Do. Nov 21st, 2024

An der lettisch-belarussischen Grenze, Foto: Saeima CC BY-SA 2.0, Saite

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist das Thema Migranten, Flüchtlinge bzw. Menschen, die über die Grenzen Polens oder der baltischen Länder die EU erreichen wollen, aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden. Doch weiterhin hoffen die sogenannten “robezparkapeji” (Grenzverletzer), die über Belarus kommen, Aufnahme in einem angrenzenden EU-Land zu finden. Ivars Ruskulis, stellvertretender Leiter des lettischen Grenzschutzes, berichtete dem Lettischen Radio, dass die Zahlen seit Anfang September wieder ansteigen. Seitdem nehmen lettische Grenzbeamte täglich etwa 100 Personen wegen illegalen Grenzübertritts fest. Die lettische Regierung plant, die Grenze mit Zäunen und Stacheldraht gegen Russland und Belarus weiter zu verriegeln. Der Europarat und Amnesty International kritisieren das lettische Vorgehen.

Ruskulis sieht den Ursprung in Moskau: Ein Teil der Personen reise aus ihren Herkunftsländern nach Moskau und dann begäben sie sich nach Minsk, von dort aus würden sie zur EU geführt, in diesem Fall zur Grenze Lettlands.” (lsm.lv) Laut Lettischem Radio befinden sich unter jenen auch solche, die sich schon seit längerer Zeit in Moskau aufhalten und die begriffen, dass sie in den Ukrainekrieg verwickelt werden könnten. Ob damit russische Deserteure gemeint sind, bleibt unklar. Lettland hat bekundet, Deserteuren der russischen Armee kein Asyl zu gewähren.

Am 19. September 2023 beschloss die lettische Regierung, wegen des “illegalen Migrationsdrucks” den Grenzübergang Silene nach Belarus zu schließen. Über Nacht verbarrikadierten ihn Grenzschützer mit Betonblöcken und Stacheldraht; weder Fahrzeuge noch Fussgänger können passieren. Für LKW-Fahrer ist von Lettland aus die Einreise nach Belarus nur noch über den Grenzübergang Paternieki möglich, über Meiksani und Kaplava können weiterhin Autofahrer einreisen. Innenminister Rihards Kozlovskis begründete diese Maßnahme in derselben Sendung mit dem Abzug von Grenzern aus Silene. Sie würden nun eingesetzt, um die derzeit noch “grüne”, also zaunlose Grenze zu überwachen. In einem weiteren Interview für das Lettische Radio vom 6. Oktober 2023 meinte Kozlovskis, dass die “Menschenhändler” ihre Taktik geändert hätten und Personen nun nach und nach in kleinen Gruppen auf lettisches Territorium einschleusten. Kozlovskis hofft, dass ein Gesetz, das höhere Strafen für Menschenhändler vorsieht, die Situation entschärfen werde.

Am 28. August 2023 hatten sich die Innenminister Polens und der baltischen Staaten in Warschau getroffen, um über Situation an den Grenzen zu beraten, für die sie Russland und Belarus verantwortlich machten. In einer gemeinsamen Erklärung formulierten sie: “Wir erklären nachdrücklich, dass wir gemeinsam gegen solche Versuche vorgehen werden. Unsere Reaktion wird geprägt sein von Solidarität, Entschlossenheit und situativer Angemessenheit einschließlich der Möglichkeit, beide Regime vollständig zu isolieren, indem wir alle Grenzübergänge schließen. Wir haben uns vorgenommen, die Grenzen der demokratischen Welt zu schützen.” (delfi.lv)

Kucinskis erinnerte damals an die Warnung des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, dass die sich in seinem Land befindende russische Privatarmee Wagner nach Polen aufmachen könne. Polen reagierte mit verstärkter Grenzsicherung. “Der Krieg in der Ukraine und die Anwesenheit der Söldnergruppe ‚Wagner‘ in Belarus”, sagte Kucinskis dem Portal Delfi, “ist als zusätzliches Risiko zu werten und eine mögliche Motivation des Lukaschenko-Regimes ist es, die Bemühungen fortzusetzen, die Situation an den Grenzen zu destabilisieren und somit Druck auf EU und NATO auszuüben.”

Das Lettische Radio ließ Maris Andzans, Leiter des geopolitischen Forschungszentrums der Hochschule Vidzeme, das Grenzgeschehen kommentieren. Seiner Auffassung nach führt Belarus einen Hybridkrieg aus Vergeltungssucht, weil die EU gegen das Land nach beobachteten Wahlfälschungen im Jahr 2020 Sanktionen eingeführt habe. Lukaschenko hatte im Frühjahr 2021 bekanntgegeben, sich nicht mehr an das Abkommen mit der EU zu halten, dass Flüchtlingen und Migranten die Einreise über Belarus in den Staatenbund verwehrte. Seit dem Frühjahr 2021 soll Belarus aktiv Migranten aus dem Nahen Osten anlocken und ihnen großzügig Touristenvisa für die Durchreise erteilen. Laut Andzans habe Belarus kaum Nutzen davon; lediglich Hotels profitierten vorübergehend. Und Russland wolle den Unterstützern der Ukraine das Leben schwer machen. Andzans meint, das sei der Preis dafür, dass Lettland solange den Ausbau von Grenzanlagen vernachlässigt habe. Er fordert zügigen Weiterbau der Grenzzäune unter Beteiligung der Armee.

Zu ganz anderen Schlussfolgerungen kommen der Europarat in Straßburg und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (amnesty.org). 2021 beschloss die lettische Regierung noch unter Krisjanis Karins für die Grenzregionen nach Belarus den Ausnahmezustand. Die Saeima stimmte für ein Gesetz, das den Grenzern gestattet, die Annahme von Asylanträgen zu verweigern und “robezparkapeji” gewaltsam zurückzudrängen. Im Internet kursierten Videos mit Menschen aus dem Irak, die im Niemandsland zwischen Belarus und Lettland von Grenzern beider Seiten blockiert wurden, so dass sie viele Tage ohne Zelte und Nahrung im Wald zubringen mussten. Unter den sogenannten “Migranten” aus dem Irak könnten sich angesichts der dortigen politischen Zustände Asylberechtigte befinden. Doch Lettland weigert sich, dies zu überprüfen. Lettland war am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf den Irak im Jahr 2003 beteiligt.

Amnesty International (AI) kritisiert illegale Pushbacks an der lettischen Grenze, Menschenrechtsorganisationen würden daran gehindert, sich vor Ort einen Überblick zu verschaffen. Trotz der Weigerung, Asylanträge entgegenzunehmen, durften 200 Asylbewerber im Internierungslager Daugavpils einen Antrag stellen. Lettische Grenzer verweigerten im letzten Jahr etwa 5000 mal die Einreise. Manche wurden mehrmals zurückgewiesen bzw. zurückgeprügelt. Die “Grenzverletzer” wurden laut AI willkürlich interniert. Die Grenzer, unter ihnen anonyme Personen, hätten zuweilen Misshandlungen ausgeübt, die der Folter gleichgekommen seien. Man habe Täuschung und Gewalt benutzt, um Betroffene in ihre Herkunftsländer zurückzubringen. Ein Afghane sei wegen der Kälte an der Grenze wegen Unterkühlung gestorben. Im Mai 2023 berichtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass er ein Verfahren gegen Lettland einleite. Eine Gruppe von Irakern klagt gegen lettische Pushbacks und Internierungen.

Auch Dunja Mijatovic, Die Menschenrechtskomissarin des Europarats, äußerte sich im Juni 2023 kritisch zum lettischen Grenzgebaren (coe.int). Sie forderte die lettische Saeima auf, Gesetze zu ändern, die derzeit Pushbacks und Misshandlungen legalisieren. “Das lettische Parlament sollte keine illegalen Praktiken in der nationalen Gesetzgebung verankern, sondern seine Aufsichtsbefugnisse nutzen, um sicherzustellen, dass der Rechtsrahmen bezüglich Asylverfahren und Grenzkontrolle vollständig den Standards der Europäischen Konvention für Menschenrechte, der Flüchtlingskonvention von 1951 und weiteren international maßgeblichen Bestimmungen entspricht.”

3 Gedanken zu „Lettland “sichert” sich gegen “Grenzverletzer”“
  1. Russland und sein Verbündeter Belarus nutzen Migration verstärkt als Waffe, um damit die Länder der Europäischen Union unter Druck zu setzen und deren innenpolitische Stabilität zu untergraben. Darauf hat jetzt Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, hingewiesen. „Wir erleben eine Folge hybrider Kriegsführung von Seiten Russlands, bei der gezielt Flüchtlinge unmittelbar aus Syrien und anderen Krisengebieten eingeflogen und durchgeschleust werden, mit dem Ziel, Europa zu destabilisieren“, sagte Mützenich der „Augsburger Allgemeinen“.

    Klar wer die Leidtragenden sind als Spielsteine der Macht!

  2. Deutschland treibt die Masseneinwanderung in die EU aufgrund der bedingungslosen Aufnahme und Versorgung an. Erst durch solche unsinnigen Anreize wird die Migration als Waffe möglich. Die hässlichen Grenzkontrollen überlässt Deutschland anderen Staaten.
    Im März 2023 bezogen 587.000 erwerbsfähige Zuwanderer aus Asylherkunftsländern Bürgergeld. Nur in diesem einen Monat 436 Millionen Euro, pro Kopf 743 Euro (Migrationsmonitor der BA). Jeder, der bis 3 zählen kann, weiß, dass hier ein starker Antrieb der Migration vorliegt. Man kann das wollen, aber dann muss man auch zugeben, dass diese Haltung für die üblen Begleiterscheinungen mitverantwortlich ist. Man kann auch fordern, dass EU-weit alle Grenzen geöffnet und nicht mehr kontrolliert werden. Aber ich bin mir sicher, das will in Deutschland keiner erleben und es wäre das Ende der EU.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Translate »