Do. Nov 21st, 2024
Mit modernem Gerät ist ein Wald rasch zerlegt, Foto: Fährtenleser, Eigenes Werk CC BY-SA 4.0, Link

Politiker, die auf Wiederwahl sinnen, haben vor allem die kurzfristigen positiven Effekte ihrer Entscheidungen im Blick, auch wenn dabei die langfristigen Folgen den Menschen mehr Schaden als Nutzen bereiten. Zudem fürchten sie die Reaktionen mächtiger wirtschaftlicher Lobbygruppen und auch ihrer Wähler, die ihre Konsumgewohnheiten nicht ändern wollen. Der angerichtete langfristige Schaden, den versäumter Umweltschutz verursacht, kommt erst dann zutage, wenn die politisch Verantwortlichen sich nicht mehr im Amt befinden. In den letzten Jahren mahnten Richter in verschiedenen Ländern die Regierungen an, nicht nur von Umweltschutz zu reden, sondern ihn auch umzusetzen. Jüngst erreichten die Schweizer Klimaseniorinnen einen international beachteten Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (der keine EU-Institution ist). Sie klagten gegen den Schweizer Staat, weil die vermehrten Hitzeextreme, die der Klimawandel verursacht, besonders das Leben von Seniorinnen und Senioren gefährde. Die Richter stellten klar, dass die Schweizer Regierung zu wenig unternehme, um die Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen und forderten Nachbesserungen. (greenpeace.de)

Lettische Richter korrigieren ebenfalls Regierungsentscheidungen, die den Umweltschutz vernachlässigen. Die Umweltschutzverbände des Landes, unter ihnen der Lettische Naturfonds (LDF), klagten vor dem Verfassungsgericht gegen die Bestimmungen zur Abholzung, die die Regierung des ehemaligen Ministerpräsidenten Krisjanis Karins 2022 gelockert hatte. Laut einer Regierungsverordnung aus dem Jahr 2012 müssen Bäume, die ein Forstbetrieb fällen darf, einen bestimmten Durchmesser des Stammes aufweisen. Auf Vorschlag des Landwirtschaftsministers wurde der Mindest-Durchmesser gesenkt, für Kiefern beispielsweise von 39 auf 30 Zentimeter. Vor Gericht begründeten Regierungsvertreter ihre Entscheidung damit, dass wegen der Energiekrise die Holzpellet-Produktion gesteigert werden musste. Die drastisch gesteigerten Energiepreise hatte die lettische Regierung durch ihre Sanktionspolitik gegen Russland selbst verursacht.

Die Verfassungsrichter gaben in ihrem Urteil vom 8. April 2024 den Umweltschützern Recht: Die Regierung Karins habe gegen den Paragraphen 115 der lettischen Verfassung verstoßen, der besagt, dass der Staat das Recht eines jeden schützen muss, in einer angenehmen Umwelt zu leben (satv.tiesa.gov). Er ist zu Mitteilungen über den Zustand der Umwelt verpflichtet und muss für ihre Wahrung und Verbesserung sorgen. Das Gericht stellte fest, dass die Regierung keine umfassende Folgenabschätzung der veränderten Bestimmungen unternommen, die Auswirkungen auf die Umwelt nicht hinreichend geprüft habe. Der Staat habe zwar das Recht, Entscheidungen zu treffen, die sich auf die Umwelt auswirkten, diese müssten aber zwischen gesellschaftlichem Wohlstand, ökonomischen Interessen und Umweltschutz abgewogen sein. Die Richter setzten die Verordnung von 2012 wieder in Kraft. Nun müssen erteilte Abholz-Genehmigungen überprüft werden, ob sie der strengeren Regelung genügen.

Erstmals musste sich das Verfassungsgericht mit einem forstwirtschaftlichen Thema auseinandersetzen. Baiba Vitajevska-Balvika, Vertreterin des LDF, kommentierte den juristischen Erfolg: “Das ist eine historische Klage zum Umweltrecht, die einen Wendepunkt auf dem Weg zu einer nachhaltigen politischen Entwicklung darstellen wird. Wir sind sehr erfreut über die wohlwollende Entscheidung des Verfassungsgerichts für die lettische Natur sowie über die vertieften und wertvollen Diskussionen über Nachhaltigkeit, Artenvielfalt und die Rolle der Forstwirtschaft, die in der Zeit der Anhörung geführt wurden. Gleichzeitig wurden im Gerichtsprozess und im Urteil vielfach die fundamentalen Probleme des Umweltschutzes in Lettland hervorgehoben, die lange nicht gelöst wurden und gelöst werden müssen.” (ldf.lv)

Der LDF betont auf seiner Webseite, dass dieses Gerichtsurteil nur einen Anfang darstellt. Das vermehrte Abholzen gefährdet die Artenvielfalt, weil alter Baumbestand durch Monokulturen ersetzt wird. Laut LDF bedecken alte, artenreiche Wälder nur noch zehn Prozent des lettischen Territoriums. Etwa die Hälfte des Landes besteht aus Wäldern. Die Forstwirtschaft ist eine wichtige ökonomische Branche des Landes, deren Rohstoff zunehmende Nachfrage findet. Auch das Abholzen noch junger Bäume ist profitabel und die lettische Holzlobby übt entsprechenden Druck aus. Holz ist aber nicht nur eine Energiequelle, sondern auch ein Mittel, Kohlendioxid zu absorbieren, es in Möbeln und Holzbauten zu speichern. Holzhäuser gelten als umweltschonende Alternative zu Betonbauten. Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber startete daher die Initiative “Bauhaus der Erde”, um den Bau von Holzgebäuden zu fördern (bauhauserde.org).

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