Do. Nov 21st, 2024
Maria Sacharowa, Foto: Council.gov.ru, CC BY 4.0, Link

Der Propagandakrieg zwischen Russland und Lettland geht weiter. Lettische Medien berichteten Ende Oktober 2024 über die Ankündigung Maria Sacharowas, Sprecherin des russischen Außenministeriums, Lettland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen zu wollen (lsm.lv). Nach Sacharowas Auffassung verletze Lettland die UN-Konvention gegen Rassendiskriminierung. Dieses internationale Übereinkommen von 1965 bezieht sich laut Artikel 1 nicht nur auf “Rassismus”, sondern wendet sich auch gegen jede auf “Abstammung”, “nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschliessung, Beschränkung oder Bevorzugung”, die “zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Geniessen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird”. (fedlex.data.ch).

Nach Sacharowa sei die Situation der russischen und russischsprachigen Einwohner in den baltischen Ländern aufgrund von staatlichen Gesetzesverstößen bereits “scheußlich” gewesen, doch nun habe die “Russophobie” ein völlig neues Niveau erreicht. Sie begründete die Vorwürfe mit verschiedenen Vorfällen: “Die Rede ist von offener Diskriminierung von Russen und Rühmung des Nazismus. Das hat einen systematischen Charakter, der zum Bestandteil gezielter staatlicher Politik der Behörden geworden ist. Die zeigt sich im Status unterdrückter `Nichtbürger`, im Verbot des Unterrichts in russischer Sprache und ihre Unterdrückung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, in der Verfolgung der Kämpfer gegen Nazismus – der Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, in den Versuchen, die historische Erinnerung des Kampfes gegen den Nazismus auszulöschen, indem man die Denkmäler gegen die Befreier Lettlands von den deutschen faschistischen Angreifern abreißt, im alljährlichen lettischen Marsch der `SS Veteranen`, im Rühmen nazistischer Verbrecher.”

Lettland weigere sich, die russischen Forderungen nach Einhaltung der Konvention anzuhören; deshalb will sich Russland an den Internationalen Gerichtshof wenden, wo es bereits die Ukraine wegen Genozids gegen das Volk im Donbass verklagt habe. Die russische Regierungsvertreterin bedauert, dass andere Institutionen des Westens sich mehrmals auf die lettische Seite gestellt hätten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg habe den Übergang zum Unterricht der Minderheiten in lettischer Sprache für rechtmäßig gehalten (LW: hier) und keine Diskriminierung gegen die russische Minderheit in Lettland festgestellt.

Die traditionell schlechten diplomatischen Beziehungen der beiden Länder wurden durch Russlands Angriff auf die Ukraine endgültig zerstört. Seitdem vernimmt man nur noch wechselseitige Vorwürfe, die polemisch zugespitzt sind und offenbar den Zweck verfolgen, die eigenen Reihen zu schließen, aber nichts zu internationalen Konfliktlösungen beitragen. Zwar verleitete die nationalkonservative Stimmungsmache lettische Regierungen dazu, gegen die russischsprachige Minderheit eine fragwürdige Assimilierungspolitik zu betreiben, die zuletzt im Beschluss gipfelte, Russisch nicht nur als Unterrichtssprache, sondern auch als Unterrichtsfach an staatlichen Schulen abzuschaffen. Doch ob Lettland damit gegen internationales Recht verstößt, bleibt ebenso fraglich. Territorial gilt die Unverletzlichkeit aktueller Grenzen, gegen die Russland verstoßen hat und deshalb im Glashaus sitzt. Ob Rechte der sprachlichen Minderheiten zurückgenommen werden dürfen, ist juristisch weniger eindeutig. Die sprachlichen Minderheiten in Lettland erhielten in den 20er Jahren das Recht, eigene Schulen zu betreiben und über die Unterrichtssprache zu bestimmen. Diktator Karlis Ulmanis betrieb den Übergang auf lettischsprachige Schulen; die sowjetischen Besatzer führten die Minderheitenschulen wieder ein, die auch nach der Unabhängigkeit von 1991 bestehen blieben. 2004 verordnete die lettische Regierung, dass 60 Prozent des Unterrichts an solchen Schulen auf Lettisch gehalten werden muss, was damals zu massiven Protesten führte. Die Konflikte mit Russland im letzten Jahrzehnt waren Anlass für erneute Verschärfungen gewesen und führen nun zur faktischen Abschaffung der Minderheitenschulen.

2 Gedanken zu „Russland will Lettland wegen “Diskriminierung” verklagen“
  1. Dummdreistere Propaganda vom Typ „Haltet-den-Dieb-Mentalität“ gibt es wohl nicht mehr? Aber wenn eben ein Verbrecher keine Gelegenheit ausläßt, Sch…e zu bauen (Sorry für die derbe Aussprache!). dann muß er eben mit dem Finger auf andere zeigen, um von einen eigenen Untaten abzulenken.
    In Sachen Diskriminierung sind ja nur noch Iran, China und Nordkorea besser aus Rußland – aber die zerrt man nicht vor Gericht, da man ja von denen Waffen und Soldaten für eines der schlimmsten derzeit stattfindenden Verbrechens gegen die Menschlichkeit benötigt? Da zieht man lieber über Leute her, von denen man nichts zu befürchten hat?

    Lächerlicher geht es wohl nicht mehr? Das kann wohl wirklich keine Mensch mehr ernstnehmen, oder? Wohl auch nicht die Letten, oder?

    Sorry, störe nicht weider, aber es mußte wohl mal so deutlich gesagt weden! Dem Autor des Artikels danke ich allerdings herzlich gern dafür, daß er auf diese Lachnummer hingewiesen hat!

  2. Ich danke dem Autor ebenfalls, denn er hat den Mut, in diesen Zeiten von Positionen zu berichten, die in deutschen Medien ausgeblendet werden. Sichtlich systematisch. Danke, Herr Bongartz!

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