Lettisches Okkupationsmuseum in Riga nach der Erweiterung, Foto: Nenea_hartia CC BY-SA 4.0, Saite
Touristen fällt der schwarze, rechteckige Kasten am Daugava-Ufer ins Auge, der sich hinter dem Denkmal für die lettischen Roten Schützen befindet und der die Rigaer Altstadt verunziert. Das Gebäude mit der düsteren Fassade wurde in bolschewistischer Zeit errichtet, um an jene lettischen Soldaten, die genannten Roten Schützen, zu erinnern, die sich nach der Oktoberrevolution von 1917 auf die Seite Lenins schlugen. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit widmeten die Letten diesen Erinnerungsort um: Seit 1993 beherbergt die fensterlose Halle die lettische Perspektive auf die Zeit der überwiegend sowjetischen Besatzung zwischen 1940 und 1991 – mit einem brutalen nationalsozialistischen Intermezzo zwischen 1941 und 1944. Dieses Lettische Okkupationsmuseum wurde in den letzten Jahren renoviert, durch einen Anbau erweitert und 2022 wiedereröffnet. Früher war der Eintritt frei, nun soll der Besucher 5 Euro berappen. Rechtsanwalt Renars Briedis besuchte die Ausstellung am 3. April 2023. Sein Eindruck war derart, dass er vor Gericht gezogen ist und seine 5 Euro zurückverlangt.
Am 9. November 2023 begann vor dem Rigaer Amtsgericht die Verhandlung in Sachen Briedis – Okkupationsmuseum. Nach Ansicht des Klägers täuscht und belügt das Museum die Öffentlichkeit, wobei er auch das Verschweigen als Lüge erachtet: “Mit dieser konkreten Ausstellung hat mich das Lettische Okkupationsmuseum belogen, indem es wesentliche Fakten über den von Karlis Ulmanis am 15. Mai 1934 begangenen Staatsstreich verschweigt,” zitiert ihn LSM, die Webseite der öffentlich-rechtlichen Medien Lettlands (lsm.lv). Seiner Ansicht nach würde die Auseinandersetzung mit der nationalistischen Diktatur des Staatsgründers Ulmanis den Blick auf die sowjetische Okkupation verändern: “Nicht alle waren Opfer, die 1940 in der lettischen Republik lebten. Diejenigen, die den Diktator selbst und diejenigen, die dieses autoritäre Regime unterstützten, waren keine Opfer, sie waren Verlierer gegenüber einem anderen Diktator, einem anderen autoritären Regime, das sich als stärker erwies.” Briedis meint, dass das Museum die Öffentlichkeit böswillig in die Irre führe und das allgemeine Bewusstsein manipuliere. Es müsse klargestellt werden, dass kein freies und demokratisches Lettland, sondern ein autoritär beherrschtes okkupiert worden sei und er folgert: “Durch dieses Vorgehen von Museumsseite, diese Tatsachen zu verschweigen, erscheint diese ganze Ausstellung im Wesentlichen als Propaganda, unethisch, ein gewaltsames und aggressives Unterfangen gegen mich als leibhaftigen Museumsbesucher.”
Museumsdirektorin Solvita Viba verteidigte gegenüber LSM die Haltung ihrer Institution, deren Thema nicht die Zeit der unabhängigen Republik von 1918 bis 1940 sei. In einer erweiterten Führung, die etwa eine Stunde dauere, werde Ulmanis` Putsch von 1934 erwähnt. Sie betont, dass die Mitarbeiter die Ulmanis-Diktatur nicht leugneten: “Wir sind mit jedem Besucher bereit zu diskutieren, ergänzende Informationen zu reichen, meiner Ansicht nach besteht kein Streit darüber, dass wir diese Fakten nicht anerkennen würden oder wir abweichende Positionen vertreten.” Kaspars Zellis, Leiter des Instituts für Philosophie und Soziologie der Lettischen Universität, kommentierte Briedis` Klage: “Wir haben sehr viel Unerforschtes, darunter auch die Ulmanis-Zeit, in der es sehr viele Dinge gibt, die zu ermitteln wären. Aber ich sehe leider nicht, irgendwelche Tendenzen zu betrachten, die den Ulmanis-Putsch als Rechtfertigung für die Okkupation erscheinen lassen könnten. In diesem Fall handelte es sich um einen innenpolitischen Prozess, der in keiner Weise von außerhalb unterstützt wurde, das war die heimische Elite, sagen wir, ein Teil der politischen Elite gestaltete den staatlichen Putsch, dessen Folge die Auflösung der parlamentarischen Demokratie in Lettland war.” Ruta Smite, Vorstandsmitglied des Museums, zeigt sich verwundert über die Motivation des Klägers und sieht sich in einer Zeit des Informationskriegs: “Und diese tendenziöse Anrufung des Gerichts mit etwas, das einerseits begründet, aber andererseits eine sehr absurde Frage darstellt… In diesem Kontext muss berücksichtigt werden, in welcher Zeit wir leben, denn diese Motivation ist unserer Meinung nach nicht endgültig zu klären.”
Doch scheint Renars Briedis Motivation offensichtlich und nachvollziehbar: Er stellt das lettische Narrativ der Ulmanis-Verklärung in Frage, das vor allem von nationalkonservativer Seite betrieben wird. Gleich zwei Saeima-Fraktionen, die Union der Grünen und Bauern und die Nationale Allianz berufen sich unmittelbar auf das Erbe des Staatsgründers und Mussolini-Fans Ulmanis. Jedes Jahr veranstaltet die Nationale Allianz am 18. November, am Tag der Staatsgründung von 1918, einen Fackelzug zu Ehren von Ulmanis, der an dessen Denkmal beginnt (nacionalaapvieniba.lv). Es wurde 2003 eingeweiht und zeigt Ulmanis als sympathisch lächelnde Vaterfigur mit gezogenem Hut. Briedis streitet mit der Stadt Riga, am Denkmal Informationen zum Putsch anzubringen. Somit stört der emsige Rechtsanwalt den lettischen Diskurs der Ulmanis-Verherrlichung.
Das Okkupationsmuseum ist eine Reaktion auf sowjetische Propaganda, die die Greueltaten in den Gulag-Lagern und im bolschewistischen Alltag unterschlug. Doch nun muss sich das Museum, das unter anderem vom Veteranenverband Daugavas Vanagi finanziert wird, der jährlich die umstrittenen Umzüge der SS-Legionäre veranstaltet, selbst kritische Fragen gefallen lassen. Dazu gehört nicht nur das Ausblenden der Ulmanis-Zeit, sondern auch die verkürzte Darstellung der deutschen Besatzung und des Holocausts; an diesem in erster Linie deutschen Verbrechen beteiligten sich lettische Kollaborateure. Von diesen Ereignissen erfährt man im Okkupationsmuseum jedoch recht wenig; es sollte sich deshalb besser einschränkend Okkupationsmuseum der sowjetischen Besatzung nennen.