Zur Mönchengladbacher Notschlafstelle haben osteuropäische Obdachlose, die nicht genügend in deutsche Sozialkassen einzahlten, keinen Zugang. Foto: Udo Bongartz
In der Mönchengladbacher Innenstadt ist die Zahl der Obdachlosen auffällig. Nicht selten kommen sie aus Osteuropa, aus den armen EU-Ländern Rumänien, Bulgarien, dem Baltikum, besonders viele aus dem wirtschaftlich aufstrebenden Polen. Am 21. Oktober 2025 fand in der Mönchengladbacher Friedenskirche ein Gedenkgottesdienst statt. Er war den 28 Obdachlosen gewidmet, die allein im letzten Jahr auf Mönchengladbacher Territorium tot aufgefunden wurden; 10 von ihnen stammten aus osteuropäischen EU-Ländern. Die Öffentlichkeit ignoriert dieses Sterben aus Mittellosigkeit mitten im Wohlstand.
Spreche ich mit Mönchengladbachern, wird die zunehmende Zahl von Migranten in der Innenstadt hauptsächlich als Ärgernis wahrgenommen. Sie gelten als kriminell und irgendwie nicht ins Stadtbild passend (taz.de). Zudem stehen sie gemäß der „christdemokratischen“ Propaganda im Verdacht, als „Sozialtouristen“ das schöne Deutschland zu überfluten (wikipedia.de).

Brigitte Bloschak, Dipl. Sozialarbeiterin, und das Team der Zentralen Beratungsstelle für wohnungslose Männer vom Diakonischen Werk Mönchengladbach betreuten im letzten Jahr 529 Hilfesuchende. Die Dunkelziffer wohnungsloser Menschen liegt deutlich höher. Die Sozialarbeiterin berichtet, dass Migranten häufig angeworben werden, um sich in Mönchengladbach als Lohnarbeiter zu verdingen. Meistens sind die Arbeitsbedingungen miserabel, der Lohn gering. Nach wenigen Monaten landen sie auf der Straße und können keine Unterkunft mehr finanzieren. Wenn sie nicht ein halbes Jahr sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, stehen ihnen keine staatlichen Leistungen zu. Immerhin machen die Diakonie und andere Hilfsorganisationen niedrigschwellige Angebote, beispielsweise mittels Streetworkern und medizinisch ausgebildeten Fachkräften. Sind die Betroffenen EU-Bürger, können sie mit den Ämtern eine freiwillige Rückführung vereinbaren. Viele verzichten allerdings darauf, weil die Hilfen für Obdachlose in den osteuropäischen Ländern noch armseliger sind als in Deutschland. Laut Brigitte Bloschak wird osteuropäischen Obdachlosen der Zugang zur städtischen Notschlafstelle Mönchengladbach verweigert, wenn sie keine Ansprüche auf Sozialleistungen in der BRD haben. Diese Osteuropäer nächtigen unter schwierigsten Bedingungen draußen im Stadtgebiet von Mönchengladbach. Für diejenigen, die im Winter auf der Straße leben, können Minusgrade tödlich sein.

Die politisch verantwortlichen Lokalpolitiker haben selbst dafür gesorgt, dass sich in der Stadt überdurchschnittlich viele Migrantinnen und Migranten aufhalten: Sie ließen es zu, dass Logistikkonzerne wie Amazon in den Vororten monströse Quader errichteten, die den Horizont verdüstern und in denen im Ausland angeworbene Leiharbeiter ein für den Multimilliardär Jeff Bazos und weiteren Aktionären äußerst profitables Geschäft verrichten – nicht zuletzt auf deren Kosten: Ein Correctiv-Rechercheteam befragte 2022 etwa 100 Amazon-MitarbeiterInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Es zeigte sich: In sogenannten „modernen Dienstleistungsbetrieben“ findet Taylorismus seine Fortsetzung. Einst half der Ingenieur Frederick Winslow Taylor, mit der Stoppuhr Arbeitsprozesse derart zu zerlegen, dass er viele Millionen Fabrikarbeiter auf dem Planeten in fleischliche Roboter verwandelte. Generationen von Fließbandarbeitern mussten diesen täglichen Stumpfsinn ertragen, bis richtige Roboter sie ersetzten.

Obwohl Amazon hoch technisiert ist, erscheint auch die Arbeit in Bazos Hallen roboterhaft. Correctiv berichtet von hochstandardisierten Abläufen. Ein Handscanner teilt den Arbeiterinnen und Arbeitern zu Schichtbeginn mit, in welche Etage sie sich zu begeben haben. Dann zeigt das Gerät die Ware an, die sie suchen sollen. Correctiv vergleicht die Wegstrecke, die sie dabei täglich zurücklegen, mit einem Halbmarathon. Häufig müssen die Geplagten sich tief bücken und schwere Pakete heben, die sie auf einen Wagen legen müssen. Ist dieser voll, übernehmen andere Beschäftigte den Versand. Was zu Taylors Zeiten eine mechanische Stoppuhr maß, verrichten heutzutage digitale Überwachungssysteme. Ständig wird gemessen und kontrolliert, wie viel Ware einzelne Mitarbeiter befördern und wie viel sie im Vergleich zu Kollegen schaffen. Correctiv berichtete von einem Fall, dass ein Amazon-Arbeiter während der Schicht tot zusammenbrach. Viele Amazon-Angestellte sind Leiharbeiter, die sich nach zwei Jahren Beschäftigung Hoffnung auf Festanstellung machen. Doch das schaffen nur wenige. Häufig sind es afrikanische Arbeitsmigranten, die auf diese Weise ausgebeutet werden. Als Nicht-EU-Bürger müssen sie nach Entlassung die Abschiebung fürchten, diese Furcht macht sie nicht gerade wehrhaft.

Osteuropäer finden sich eher in den Fuhrunternehmen wieder, die mit Amazon kooperieren. Obwohl die Fahrer nicht unmittelbar bei Amazon angestellt sind, werden sie von der App „Amazon-Relay“ überwacht, die Standorte und Fahrzeiten genau vorgibt und deren Einhaltung registriert. In Amazons Subunternehmen kümmert man sich wenig um Arbeitsrechte. Das verdeutlichen Gespräche der Correctiv-Journalisten mit litauischen Fahrern. Sie sind meistens nachts unterwegs. Anspruch auf Urlaub haben sie nicht. Wer seine Familie in der Heimat besuchen will, muss kündigen. Die Fahrer wohnen häufig zu zweit in ihrem LKW. Nach EU-Recht müssten sie nach zwei Wochen außerhalb der Fahrerkabine in einem Hotel schlafen. Doch die Befragten hatten während ihrer Tätigkeit für Amazon noch nie ein Hotel von innen gesehen, weil in Deutschland die Kontrollen besonders lasch sind. Die Routen sind ermüdend und häufig scheint die gesetzlich erlaubte Fahrzeit überschritten zu werden.
Zum Welttag für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober 2025 beklagten im Mönchengladbacher Arbeitslosenzentrum Vertreter der Gewerkschaften und Mönchengladbacher Sozialverbände die Gleichgültigkeit, mit der die Öffentlichkeit ein solches Konzerngebaren hinnimmt (arbeitslosenzentrum-mg.de). Sozialarbeiter Karl Sasserath erinnerte daran, dass die Gladbacher Fabrikherren des 19. Jahrhunderts noch so etwas wie eine paternalistisch geprägte Verantwortung für ihre Arbeiter übernahmen und beispielsweise Wohnungen für sie bauten. Davon kann bei Amazon&Co. keine Rede sein: Der Arbeiter wird selbst zur vernutzbaren Ware, die, wenn sie verbraucht ist, sich zum Teufel scheren soll.

So werden sich unter den Obdachlosen auch ehemalige Mitarbeiter Amazons und anderer Logistikkonzerne finden, deren Ruf unter Kennern der Branche kaum besser ist. Den Kunden gefällts: Der bequem vom Sessel aus mausgeklickte Kauf einer Amazon-Ware ist schnell ausgeführt. Bei Missfallen kann sie häufig kostenlos zurückgeschickt werden. Sich tagsüber über die „vielen Ausländer“ beschweren, die sich am Busbahnhof versammeln, um zum Amazon-Logistikzentrum zu fahren, aber sich abends die Schnäppchen bei Amazon sichern, scheint zur Mönchengladbacher Lebensart zu gehören.
Die Taz rief am 2. Februar 2025 zum Amazon-Boykott auf. Sie findet den weltweiten „Kampf des Unternehmens gegen Arbeitsrechte, Betriebsräte, Steuerbehörden, Umweltschutzauflagen“ „empörend“. Sie bezeichnet Jeff Bazos als „einer der reichsten Stiefellecker von Trump“ (taz.de). Auch Brigitte Bloschak ist politisch aktiv und engagiert sich im Mönchengladbacher Bündnis für soziale Gerechtigkeit und in der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Sie schätzt die Situation in ihrer Stadt abschließend so ein:
„Bezahlbarer Wohnraum fehlt nicht nur bereits wohnungslosen Menschen, sondern auch anderen Gruppen: Menschen im Niedrigeinkommensbereich oder die Transferleistungen beziehen, insbesondere Alleinerziehenden, jungen Erwachsenen, aber auch kinderreichen Familien, Studierenden, Rentner/innen mit geringer Rente, ebenso anerkannten Flüchtlingen und Unionsbürger/innen, die oftmals schlecht entlohnt werden, Billigjobber-und -jobberinnen, Soloselbständigen und anderen prekär beschäftigten Menschen. Wie sollen sie bezahlbaren Wohnraum finden? Wohnungslosigkeit gilt als extremste Form der Armut. Die Welt wohnungsloser Menschen ist durch Mangel geprägt, z. B. fehlt günstiger Wohnraum, es fehlen soziale Beziehungen, Rückzugsräume, Intimität und soziale Teilhabe. Das ist existenziell bedrohlich und gefährdet die Menschenwürde. Diese Menschen sind nicht nur aus dem Wohnungsmarkt ausgegrenzt, sondern auch aus anderen Lebensbereichen wie Erwerbsarbeit, Kultur, Bildung, medizinische Versorgung. Oftmals können sie sogar ihre Rechte auf Transferleistungen nicht in Anspruch nehmen, leben sozial sehr isoliert und erfahren Stigmatisierung, Diskriminierung und Gewalt im öffentlichen Raum. Die miserable Wohnraumversorgung bedingt krankmachende und prekäre Verhältnisse. Menschen, die ihre Wohnung verlieren, bleiben wegen des politisch verursachten Mangels länger wohnungslos, d.h. sie bleiben in der Notunterkunft oder müssen lange bei Freunden und Bekannten unterkommen oder nächtigen draußen. Die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum ist elementar wichtig für die Beseitigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit.“