Der Alltag in Lettland hat sich verteuert, Foto: Udo Bongartz.
Bereits die Lieferengpässe während der Coronakrise bewirkten Verteuerungen. Einen weiteren Schub verursachte der russische Angriff auf die Ukraine, auf dem die EU mit einer weitreichenden Sanktionspolitik gegen den Angreifer reagierte, die besonders das verfügbare Angebot an fossiler Energie verringerte, weswegen viele Branchen nun höhere Betriebskosten verzeichnen. Diese Sanktionen treffen nicht nur Russland, sondern auch die eigenen Verbraucher beim täglichen Bedarf, bei Lebensmitteln und Energieversorgung. Lettland ist stärker betroffen als andere EU-Länder.
Die Jahresinflation schwächte sich im April 2023 auf 15,1 Prozent ab. Das heißt, im letzten April zahlten lettische Verbraucher im Durchschnitt 15,1 Prozent mehr für ihren Konsum als vor einem Jahr. In den Monaten davor waren die Preiserhöhungen, die das Zentrale Statistikamt Lettlands (CSP) anhand eines statistischen Warenkorbs ermittelt, noch höher ausgefallen. Den Rekordanstieg mussten die Konsumenten im September des letzten Jahres hinnehmen, da betrug die Jahresinflation 22,2 Prozent.
Lettische Jahresinflation April 2022 bis April 2023 in Prozent:
Quelle: lsm.lv
Mit den stärksten Verteuerungen mussten Wohnungseigentümer und Mieter zurechtkommen, deren Nebenkosten trotz staatlicher Subventionierung der Energiekosten Rekordhöhen erreichten. Im Durchschnitt erhöhten sich die “Neben”-Kosten um 35,8 Prozent. Preistreiber ist die Energieversorgung. Für Heizkosten bezahlten Kunden innerhalb von 12 Monaten 60,2 Prozent mehr, für Strom 56,2 Prozent und für Erdgas sogar um 79,5 Prozent mehr.
Kaum besser erging es Verbrauchern in den Supermärkten. Die Preisetiketten verzeichneten Zahlen, die sich bei mancher unverzichtbaren Ware mehr als verdoppelten und verdreifachten. Bei den Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken stiegen die Preise durchschnittlich um 20,2 Prozent. Zucker verteuerte sich um 63,9 Prozent, Brot um 38,8 Prozent, Mehl und Getreiderohstoffe um 15,9 Prozent, gepökeltes, gesalzenes oder geräuchertes Fleisch um 21,8 Prozent. Diese Durchschnittspreise verhehlen, dass gerade bei den günstigen Marken der Discounter sich die Preise deutlich stärker verteuerten.
Ökonomen erklären die höhere Inflation dadurch, dass die lettische Bevölkerung ärmer ist als der EU-Durchschnitt und sich deshalb der Warenkorb hierzulande stärker an Produkten des lebensnotwendigen Bedarfs bemisst, auf die auch Geringverdiener nicht verzichten können. Eurostat zeigt, dass Lettland innerhalb der EU die zweithöchste Jahresinflation aufweist.
Eurostat: Jahresinflation im April 2023 für alle EU-Länder
Bei der lettischen Berichterstattung ist auffällig, dass die Ursachen des Preisanstiegs nicht thematisiert werden und Politiker pauschal Russland verantwortlich machen. Gerade die lettische Regierung forderte in Brüssel ständig neue Sanktionsrunden, um Russland zum Einlenken zu zwingen, was bislang nicht gelungen ist. Die Hoffnung westlicher Politiker, dass Staaten jenseits von EU, NATO und OECD sich den Sanktionen anschließen, hat sich nicht erfüllt – im Gegenteil, es zeigt sich immer mehr, wie der Westen sich international isoliert.