Do. Nov 21st, 2024

Ukrainisches Gerstenfeld, Foto: Mykola Swarnyk, CC BY 3.0, Link

“In Europa gibt es genügend Lebensmittel, wir sind Selbstversorger. Jegliche Einnahme für das russische Regime ist eine Einnahme für die Kriegsmaschinerie”, meint der lettische Landwirtschaftsminister Armands Krauze zur Absicht der lettischen Regierung, Getreideimporte aus Russland und Belarus zu untersagen. In der lettischen Öffentlichkeit werden solche Importe inzwischen als “Blutgetreide” bezeichnet. Getreide, das aus russisch besetzten Gebieten stammt, gilt als “gestohlen”. Dazu sagt der Minister: “Und derzeit steigt der Import, möglicherweise sogar des Getreides, das in der Ukraine gestohlen wurde, wir wissen nicht, woher es stammt. Wir möchten mit der Diskussion anfangen, um nach Möglichkeit den Lebensmittelhandel mit Russland zu verringern und Lebensmittel zu sanktionieren.” Lettland will auf EU-Ebene eine neue Sanktionsrunde gegen Russland, diesmal gegen Getreideimporte. (lsm.lv)

Nach der Kabinettssitzung am Montag verkündete Ministerpräsidentin Evika Silina (Jauna Vienotiba, JV) gemeinsam mit ihren Koalitionären Krauze (ZZS) und Andris Suvajevs (Progresivie), dass die Regierung im Februar eine Gesetzesvorlage in der Saeima einbringen wird, um die geplanten Sanktionen zu beschließen. Die lettische Wirtschaft bezieht derzeit etwa 12 Prozent der EU-Lebensmittelimporte aus Russland; damit ist Lettland hinter Spanien der zweitgrößte Importeur des Staatenbündnisses. Staatliche Kontrolleure von Lebensmittelimporten sollen nicht nur die Qualität, sondern auch die Herkunft des Getreides prüfen. Die Ukraine will dafür den EU-Ländern entsprechende Daten liefern.

Das Gesetz wird sich voraussichtlich nicht auf den Getreidetransit durch Lettland beziehen, weil die EU-Bestimmungen ein solches Verbot nicht zulassen. Finanzminister Arvils Aseradens (JV) warnt im Interview vor Alleingängen: “Als kleines Land kann Lettland sich kein widerrechtliches Handeln erlauben, womit es riskiert, von anderen Ländern übergangen zu werden.” Ein Transitverbot, das von der Nationalen Allianz gefordert wird, träfe die lettische Logistikbranche schwer; die lettische Eisenbahn und lettische Häfen müssten nach LSM-Angaben mit einem Umsatzverlust von 100 Millionen Euro rechnen. Im Hafen von Liepaja könnte sich die umgesetzte Fracht um 40 Prozent verringern; nach Angaben des Vorsitzenden der dortigen wirtschaftlichen Sonderzone, Uldis Seks, könnten um die tausend Beschäftigte der Hafenstadt ihren Arbeitsplatz verlieren.

Die lettische Regierung wird von ihren baltischen Nachbarn unterstützt und sie will das Verbot auch auf EU-Ebene durchsetzen. Ministerpräsidentin Silina sieht Lettland in einer Vorreiterrolle: “Wir sind weiterhin der Ansicht, dass am sinnvollsten eine gemeinsame Haltung innerhalb der EU wäre, aber wir zeigen mit eigenem Beispiel den eigenen Willen. Das ist eine politische Willensbekundung.” (diena.lv) Landwirtschaftsminister Krauze will das Thema hinter den Brüsseler Kulissen verhandelt wissen; bislang seien Sanktionen gegen Lebensmittel ein Tabuthema, weil sowohl in der EU als auch in anderen Ländern die Ansicht bestehe, dass es “nicht richtig” sei, derartig gegen Lebensmittel vorzugehen. Zudem befürchten lettische Politiker, dass solche Verbote die russische Propaganda beflügeln könnten, die EU sei für den Hunger in der Welt verantwortlich. Lettland geriet nach der russischen Offensive in die internationalen Schlagzeilen, als es den Transport von Dünger russischer Unternehmen blockierte, der auf dem Rigaer Hafengelände lagerte.

Der lettische Vorstoß könnte einen weiteren Riss in der um Einheit bemühten EU bedeuten. Laut Informationen von LSM sind sowohl Deutschland und Frankreich gegen solche Sanktionen als auch Spanien, das wegen eigener Dürren und Futtermangels von russischen Lieferungen besonders abhängig scheint. Das Verhalten einzelner Mitgliedstaaten erscheint konfus. Für Polen, das ansonsten mit seinen baltischen Nachbarn für die entschiedenste Politik gegen Russland eintritt, sind vielmehr die Getreideimporte aus der Ukraine ein Ärgernis, weil sie die Preise der eigenen Bauern unterbieten. Gerade hat die polnische Regierung das Einfuhrverbot von ukrainischem Getreide verlängert. (polskieradio.pl) Auch Ungarn will kein ukrainisches Getreide. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto lehnt den Import strikt ab: “Wir haben in dieser Frage eine noch striktere Haltung. Wir haben den Import ukrainischen Getreides und anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse verboten und wünschen dies beizubehalten,” meinte der Politiker im Interview mit der LSM-Korrespondentin Ilze Nagla (lsm.lv). Lediglich der vereinbarte Getreidetransit ist in Ungarn erlaubt. Szijjarto fürchtet, dass der Getreideimport aus einem Land, das deutlich geringere Preis- und Lohnstandards aufweist als die EU-Nachbarstaaten, den EU-Markt bedrohen. Es geht also auch in dieser Frage um Konkurrenz und Verteilungskämpfe und die Skepsis, ob letztlich nicht vor allem europäische Verbraucher die Zeche mit höheren Preisen zahlen und Lohnabhängige ihre Stellen einbüßen. In der lettischen Öffentlichkeit wird die Frage, ob die Sanktionen eher den Sanktionierern als den Sanktionierten Verluste bereiten, kaum erörtert. Nach einer von LSM in Auftrag gegebenen Umfrage unterstützt die Mehrheit der Letten die Sanktionspolitik ihrer Regierung, die russische Minderheit lehnt sie erwartungsgemäß ab.

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