Do. Nov 21st, 2024

Herrenhaus Katzdangen nach dem Brand von 1905, Foto: Wikimedia Commons

Das lettische Vorleben des Anarchisten „Peter the Painter“, Teil 3.

August Bielenstein, evangelischer Pastor in Dobele (Doblen), hat sich als Sprachforscher und Ethnograph Verdienste erworben. Seine Bücher sind ein wichtiger Beitrag zur lettischen Kulturgeschichte. Er glaubte zu wissen, weshalb die Letten 1905 den Gehorsam verweigerten, streikten und schließlich sogar die Herrensitze des deutschbaltischen Adels in Brand steckten, seine eigene Bibliothek ging damals in Flammen auf. Bielensteins Argumente, weshalb es angeblich zum Aufruhr kam, werden auf der lettischen Wikipedia-Seite1 zum Revolutionsjahr vorangestellt: Der Druck der orthodoxen Kirche, um evangelische Letten zum Konfessionswechsel zu bewegen; Schriften wie die von Letten herausgegebene „Petersburgas Avize“, die den Nationalismus geschürt und Hass gegen Deutsche gesät hätten, die nationalistische Agitation des Lettischen Vereins in Riga; die Russifizierungspolitik des Zaren; lettische Bauernsöhne, die sich in Moskau oder an anderen russischen Universitäten einschrieben, um dann den nihilistischen, sozialdemokratischen Geist russischer Studenten mit nach Hause zu bringen. Fremde hatten also Bielensteins lettische Schäfchen verdorben, ihnen den Geist des Ungehorsams und des Widerstands in den Kopf gesetzt. So erklären sich Eltern die Verdorbenheit ihrer Kinder. Und darin lag die eigentliche Ursache des Konflikts: Die deutschbaltische Oberschicht pflegte ein patriarchalisches Verhältnis zu den Letten, die als Untertanen, also als Herrschaftsobjekte mal fürsorglich, mal repressiv behandelt wurden. Bielenstein hielt Letten für zu unreif, um selbst Politik zu machen und einen Staat zu regieren. Der Zorn der für unmündig gehaltenen Aufständischen richtete sich gegen diese hochmütige Fremdherrschaft deutschbaltischer Gutsherren und Pastoren, von denen sie keine Befehle und Vorschriften mehr akzeptierten. Im Sommer 1905 formte sich der Unmut zum Massenprotest, der in blutiger Gewalt endete.

Von der Agitation zur Gewalt

Die evangelischen Kirchen waren ein Symbol der deutschbaltischen Herrschaft. An ihnen entfachte sich der Protest der Landbevölkerung. Den Bauern war es untersagt, sich aus politischen Gründen zu versammeln. Statt dessen verwandelten Revolutionäre die Messen in politische Kundgebungen. Bevor der Pfarrer, meistens ein verhasster Deutscher, mit der Predigt begann, stürmten Redner die Kanzel. Statt frommer Gesänge ertönten revolutionäre Kampflieder. Ruff schildert Fälle, dass sich die lettische Gemeinde zu dem Zeitpunkt erhob, als der Pastor das obligatorische Lob auf den Zaren und sein Imperium aussprach. Die Menge stürmte dann ins Freie, um für ihre revolutionären Ziele zu demonstrieren2. Wie in den Industriestädten wurden auch in der Provinz Proteste, Widerstand und Angriff organisiert. Die LSDSP forderte die Bauern auf, in ihren Gemeinden Aktionskomitees zu gründen, die die alten, undemokratischen Lokalverwaltungen ersetzten. In 470 Gemeinden – das entsprach 94 Prozent des lettischen Gebiets – bildeten sich solche Komitees, die dem Konzept einer Räterepublik entsprachen. Sie hatten auch die Aufgabe, militärische Einheiten zu bilden, um gegen die Schutztruppen der deutschbaltischen Barone und gegen die Kosaken des Zaren vorzugehen. Auch in der Provinz gehörte Janis Zaklis alias Mernieks zu den Anführern und Organisatoren der Revolution. Ihm gelang es mit seinen Männern, Telegraphenleitungen zu stören und Schienenwege zu unterbrechen. Sie lieferten sich Schlachten mit Selbstschutztruppen, Schwarzen Hundertschaften und Kosaken, nahmen Gefangene und brandschatzten Gutshöfe. Anfang Juli streikten kurländische Landarbeiter. 30.000 beteiligten sich an Kundgebungen, verbrannten Zarenporträts und andere Symbole der Macht. Die Schuldfrage, warum die sich steigernden Proteste nach und nach in Gemetzel ausarteten, ist nicht eindeutig und einseitig zu klären. Ruff, der aus der Perspektive der Revolutionäre schreibt, betont die Übergriffe der Barone, die von ihren Schutztruppen lettische Bauernhöfe angreifen ließen und Streikende gewaltsam zur Rechenschaft zogen3. Beide Seiten hatten ihre Feindbilder, einerseits galt der Lette der deutschbaltischen Oberschicht als aufmüpfiger, undankbarer, schließlich gewaltbereiter Untertan, andererseits der adelige Deutschbalte den Letten als knechtender und skrupelloser Gutsherr. Das Individuum wird nicht mehr als einzelner Mensch, sondern nur noch als beliebiges Mitglied der feindlichen Gruppe betrachtet, das zu bekämpfen, unter Umständen zu vernichten ist. Opfer einer solchen Verhärtung sind vor allem die Aufgeschlossenen, die bereit wären, mit dem Feind zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Für deren differenzierte und abwägendere Sicht bleibt aber im Bürgerkrieg kein Platz.

Einschub: Der Gesinnungswandel eines Barons

In Ruffs Buch werden Deutschbalten aus der Sicht der Revolutionäre beschrieben, also als herrschende Schicht, die ihre Privilegien mit äußerster Brutalität verteidigt. Aus der Perspektive der Barone stellt sich der Konflikt anders da, von Enttäuschung und über den Undank der Letten ist die Rede. Ein Beispiel dafür bietet Carl Baron Manteuffel-Szoege. Er war Herr des Gutes Katzdangen in Kurland und 13 weiterer Güter. Manteuffel hatte in Bonn Nationalökonomie studiert, wurde nach seiner Rückkehr Mitglied des Mitauer Landtages der kurländischen Ritterschaft und Kreismarschall von Aizpute (Hasenpoth). 1941 veröffentlichte er „Meine Siedlungsarbeit in Kurland“4. Die Art, wie ein Vorwortschreiber „D.H.“ den Baron lobt, klingt heutzutage wenig schmeichelhaft: Manteuffels „an Erinnerungen reiches Schloß“ wurde 1905 von den Revolutionären niedergebrannt, wegen „seiner deutschen Gesinnung“ wurde er im Ersten Weltkrieg nach Vjatka verbannt. 1919 musste er seine Heimat in Kurland verlassen und verlor seinen ererbten Besitz. „Aber ein unbeirrbarer Glaube an die deutsche Sendung im Osten erhielt ihm das Feuer der Jugend,“ und: „früh schon bekannte er sich zur Bewegung Adolf Hitlers, die er als ein göttliches Werkzeug zur Rettung Deutschlands begriff.“ Manteuffel beschreibt in seinen Erinnerungen, wie 1905 zum Wendepunkt seines Lebens wurde. Aus dem patriarchalisch-fürsorglichen Reformer, der sich um den sozialen und wirtschaftlichen Erfolg seiner lettischen Untertanen kümmerte, wurde ein Deutschnationaler, der nach den Erfahrungen des Jahres 1905 mit den Letten brach und fortan nur noch Deutschstämmige auf seinen Ländereien ansiedelte. Er beschreibt sein Wirken als gutherziger Sozialreformer. Seinen lettischen Untertanen habe er Ausbildung, Wohnungen, medizinische Versorgung finanziert, ihnen Geschenke gemacht und Streitigkeiten geschlichtet. „Ich gehörte zu den vielen im Lande, die unter allen Umständen eine friedliche Lösung des Gegensatzes zu den Letten finden wollten. Die wir das lettische Volk, mit dem wir aufgewachsen waren und ohne das wir unsere Heimat und unsere Jugend nicht denken konnten, im Grunde des Herzens doch liebten, viel mehr liebten, als wir uns eingestehen mochten, wir alle wollten uns gerne jener Täuschung hingeben, daß die uns unverständlichen Eigenschaften der Letten die Fehler des `kleinen Mannes`, des uns sonst unbekannten Bauern schlechthin wären.“ Dass diese väterliche Liebe enttäuscht wurde, dafür findet Manteuffel eine in der NS-Zeit als wissenschaftlich erachtete Begründung: „Wir kannten damals den unabänderlichen Unterschied der Rassen noch nicht, der hier freilich teilweise dadurch verdeckt war, daß sich unter den Letten viel deutsches Mischblut und verfettetes Deutschtum befindet, das dann doch wieder deutsche Wesensart aufweist und das Urteil über die Letten als Volk erschwert. Unter dem alles bedrohenden russischen Druck5 sahen viele das einzige Mittel, die deutsche Gesittung des Landes zu retten, in einer Verständigung mit den Letten und weitergehend in dem Versuch, sie `durch die Macht der Liebe` dem Deutschtum einzugliedern. Ob dies wünschenswert, ob es jemals möglich war, ist fraglich. Damals war es jedenfalls schon zu spät, wie der Aufruhr von 1905 alsbald beweisen sollte, der allen solchen Hoffnungen ein jähes Ende setzte. Ein herbes Schicksal ließ diesen letzten Versuch deutschen Hochwillens scheitern.“ Letten sind für Manteuffel ein minderwertiges Mischvolk, dessen hinterhältiger Charakter sich im Aufstand offenbarte: „Das Jahr 1905 hat mich dann freilich bitter enttäuscht; denn, wenn die Bauern im allgemeinen auch nicht sozialistisch dachten, so machten doch fast alle den Aufruhr aus nationalistischen Gründen mit. In der Erwägung, daß das Lettentum gesittungsmäßig nichts Selbständiges geleistet hatte, daß es rassisch ebensowenig als etwas Eigenes, sondern nur als Mischung zu verstehen war, habe ich die Macht des lettischen Volksbewußtseins unterschätzt.“ Manteuffel hoffte nicht mehr darauf, dass höhere Bildung Letten zu Deutschen macht. „Mein Großvater hatte manchen Bauernsohn auf seine Kosten auf die Hochschule geschickt; ich habe solche Unterstützungen freilich nur Deutschen zugewandt, denn zu meiner Zeit entwickelten sich lettische Hochschüler nicht mehr, wie früher, zu Deutschen, sondern meist zu nationalistischen, umstürzlerischen lettischen Führern.“ Indirekt gab Manteuffel damit zu, dass Letten eine eigene Kultur entwickelt hatten, die sie befähigte, einen eigenen Staat ohne fremde Herren zu regieren. Den Aufruhr von 1905 schildert Manteuffel mit umgekehrten Vorzeichen. Während das Narrativ der Revolutionäre mit dem Petersburger Blutsonntag beginnt, als Demonstranten von Soldaten des Zaren erschossen wurden, startet seine Erzählung mit dem „Kanonenschuß auf den Zaren bei der Wasserweihe Anfang 1905“ als „erstes Sturmzeichen“. Während Sympathisanten der Revolutionäre diese als stark, kühn und unerschrocken, die Truppen der Barone und des Zaren als gleichsam brutal wie feige hinstellen, ist es bei Manteuffel genau umgekehrt. Die Unruhen erreichen unerwartet sein Gut Katzdangen: „Schon der Frühling brachte mir die ersten, von fremden, meist jüdischen Hetzern angestifteten Arbeitseinstellungen. Sie schienen vornehmlich als Erkundungsversuche gedacht und wurden bald aufgegeben, hinterließen aber eine schwüle Stimmung.“ Es folgen Streiks und Proteste, die Agitation der „Hetzer“ bewirkt die zunehmende Entfremdung zwischen dem Kreismarschall Manteuffel und der Bevölkerung von Aizpute, die in der Brandschatzung seines Schlosses im Dezember gipfelt: „In einer dunklen Dezembernacht drang eine aufrührerische Bande ins Schloß und ermordete meinen treuen, deutschen Leibjäger. Der von mir erzogene Sohn meines verstorbenen lettischen Kutschers hatte ihnen die Tür geöffnet. Die aus Hasenpoth herbeigerufenen Dragoner `entwaffneten` auf Befehl ihres `liberalen` Rittmeisters die Bevölkerung, also, da die Anführer entflohen waren, meine letzten zuverlässigen Leute. Dann zogen die Soldaten ab. Das nun völlig schutzlose Schloß wurde gleich darauf wieder von den Aufständischen besetzt und in der Silvesternacht auf 1906 eingeäschert. In einer lettischen Kundmachung hieß es, man habe `dem Baron auch einmal einen Weihnachtsbaum anzünden wollen`. Das Schloß brannte noch drei Tage. In seiner Asche wurde nicht nur eine lange, glückliche Vergangenheit, sondern auch jede auf der alten Grundlage erstrebte Zukunft begraben. Denn fast alle Letten hatten mich verraten, auch von meinen besonderen Freunden, den Bauernhofbesitzern, hatten sich nur wenige abseits gehalten, — für mich eingetreten war keiner“ und: „Als letzte Erinnerung an mich soll in einem neuen lettischen Museum in Riga eine schauerliche Knute gezeigt werden, `mit der`, wie ein Zettel besage, `der Katzdangensche seine unglücklichen Untertanen zu züchtigen pflegte`. Mit ihr bewaffnet werde ich wohl in die lettische Unsterblichkeit eingehen.“

„Fake News“ gehören seit eh und je zum Krieg

Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer. Diese Erkenntnis aus Aischylos` Zeiten lässt sich auch an den gewaltsamen Konflikten von 1905 belegen. Propagandisten zeichnen den Feind als blutrünstige Bestie. Manteuffel beschreibt sein Entsetzen über lettische Mordlust an zaristischen Dragonern: „Es war mir, der ich als Kreismarschall von Amts wegen der Trauerfeier für die Opfer in der russischen Kirche zu Mitau beiwohnte, ein furchtbarer Eindruck, jene mir so wohl bekannten Menschen gräßlich verstümmelt mit ausgestochenen Augen und aufgeschlitzten Nasen in ihren nach russischer Sitte offenen Särgen liegen zu sehen. Das Gesicht des Obersten war mit einem weißen Tuche verdeckt, offenbar, weil es von den Letten so zugerichtet war, daß es keinen menschenähnlichen Anblick mehr bot. Die grausigen Bilder wurden später in der russischen Presse veröffentlicht, und nun begriff in Rußland jedermann, daß es sich um einen lettischen, gegen den Staat gerichteten Aufruhr handelte.“ Ruff stellt die Leichenschändung anders dar: „Die gestorbenen Dragoner wurden nach Jelgava [Mitau] gebracht, wo der Gouverneur Kurlands befahl, sie zu verstümmeln und zu fotografieren, um die Bilder später in Einheiten der Armee zu verbreiten als `Nachweis` revolutionärer Verschwörungen, um so wirksamer die Soldaten gegen die örtlichen Einwohner aufzuhetzen.“6 Wo Manteuffel seine Standesgenossen als gutmütige Herrscher darstellt, beschreibt Ruff deren Erbarmungslosigkeit. Die 24 Dragoner des Zaren waren im Aufstand von Tukums (Tuckum) vom 13. bis 15. Dezember7 ums Leben gekommen. Die Einwohner der kurländischen Provinzstadt hätten zuvor tagelang die Brutalität der Dragoner zu spüren bekommen. Zugleich hätte Karl Baron von der Recke, einem Gesinnungsgefährten Manteuffels, mit bewaffneten Männern unweit von Tukums Bauernhöfe und die Mühle von Sloka überfallen und fünf Tonnen Mehl beschlagnahmt. Tukums` Einwohner verbündeten sich mit den Bauern von Sloka, um den Aufstand zu wagen. Zweitausend Soldaten der russischen Armee standen nach Ruffs Angaben 300 bis 500 LSDSP-Kämpfer gegenüber. Nach drei Tagen hatten die Aufständischen keine Munition mehr. Ihnen wurde aber gestattet, die Stadt samt ihrer Waffen und roten Fahnen zu verlassen, den Tukumer Bürgern wurde versprochen, von Racheaktionen verschont zu werden. Doch Baron von der Recke habe danach nicht gezögert, kaltblütig 60 friedliche Tukumer zu erschießen, unter ihnen Frauen und Kinder. Ruff beschreibt einen enttäuschten Zaren. Nikolaus II. hatte die Vernichtung Tukums` gefordert, wie es in einer Randnotiz überliefert ist. Aus solchen Bemerkungen, des Zaren Vergnügen an brutalen Strafexpeditionen und sein Lob für skrupellose Exekutionen folgert Ruff, dass der russische Herrscher den Staatsterror befürwortete8.

Revolutionäre Brandschatzungen und die Rache der Herrschenden

Die Revolutionäre agierten ebenfalls gemäß ihres Feindbildes. Mernieks propagierte es in den Kirchen von Koknese (Kokenhusen), Lielvarde (Lennewarden) und Skriveri. Seine `Predigten` zeigten Wirkung. Er bestieg mit seiner Truppe den Zug nach Skriveri, um sich dort mit hundert ortsansässigen Milizen zu verbünden. Sie belagerten das Gutshaus des verhassten Barons August von Henning, beschossen das Gebäude, steckten es in Brand. Mernieks ließ den Baron und einen Offizier der russischen Armee gefangennehmen und erschießen. Tagelange Kämpfe mit russischen Dragonern und weitere Geiselerschießungen folgten. Trotz des wagemutigen Kampfes war die Niederlage der Revolutionäre vorauszusehen. Im Dezember wurde in der Provinz Livland der Kriegszustand verkündet. Nikolaus II. schickte Generalmajor Alexeij Orlow nach Lettland, um die Region zu „befrieden“: Dies war der Auftakt zu Strafexpeditionen der grausamsten Art. 19.000 russische Soldaten fielen über die Letten her und rächten die Barone: „Orlows Strafexpedition brandschatzte, folterte und tötete massenhaft ohne irgendwelche Gewissensbisse,“ schreibt Ruff9. Auch Barone beteiligten sich an dieser Art der `Befriedung` und nahmen einiges von den Schrecken vorweg, den die kommenden Jahrzehnte noch zu bieten hatten. Ruff nennt einen Baron von Sievers aus dem estnischen Viljandi (Fellin) als Beispiel. Er ließ 49 Bauern festnehmen und verurteilte sie eigenmächtig zum Tode. Er ließ sie das eigene Massengrab ausheben, sie der Reihe nach an dessen Rand aufstellen, um erschossen zu werden. Das Ergebnis der Racheaktionen: 1170 Menschen wurden von Orlows Truppen ohne Gerichtsurteil erschossen oder aufgehängt. 300 Häuser bzw. ganze Ortschaften wurden in Brand gesteckt. Auch die lettischen Historiker betonen die deutschbaltischen Rachegelüste: „Der deutschbaltische Adel, der sich für die verbrannten Schlösser rächte, beteiligte sich aktiv an den Strafexpeditionen und tat sich mit besonderer Grausamkeit hervor.10“ Die lettischen Geschichtsschreiber resumieren: „Ungefähr 3000 Revolutionäre wurden auf lettischem Gebiet getötet, 10.000 ins Gefängnis gesperrt oder nach Sibirien geschickt, 5000 Menschen wurden zur Emigration ins Ausland gezwungen, von denen viele nicht mehr nach Lettland zurückkehrten. Mithin verlor Lettland in der Revolution 18.000 Menschen.“ Sie bewerten das Jahr 1905 als Tragödie für das Verhältnis zwischen Deutschbalten und Letten. „Die lettischen Bauern hatten natürlich die historische Wahrheit auf ihrer Seite, doch dies rechtfertigte nicht die Gewalttätigkeit und die Zerstörung kultureller Werte. Auch für die Deutschbalten war Lettland die Heimat und deren Wurzeln in ihr reichten sogar bis zum Mittelalter zurück. Nach der Revolution tat sich zwischen ihnen und den Letten ein tiefer Spalt auf.“ Doch die lettischen Experten ziehen aus dem Jahr 1905 ein positives Fazit: Die Letten begannen ihre Interessen in russischen Gremien vorzubringen, machten das gesamte Russland mit den eigenen Forderungen bekannt. Im Ausland wurde man auf den Kampf der Letten aufmerksam. „In der Revolutionszeit verwandelte sich das lettische Volk vom Objekt zum Subjekt der Geschichte.“ Janis Zaklis alias Mernieks hatte in dieser Zeit das Mittel der Gewalt erprobt, das seine Zwecke offenbar heiligte. Damit geriet er in Widerspruch zu seiner Partei. Über Zaklis Hinwendung zur Anarchie und zu bewaffneten „Expropriationen“ handelt das nächste und letzte Kapitel.

Das lettische Vorleben des Anarchisten „Peter the Painter“

1. Janis Zaklis, ein kurländischer Schüler der Revolution

2. Janis Zaklis als Mernieks, Revolutionär in Riga

3. Die Brandstifter

4. Zaklis` Wandlung zum Anarchisten

Quellen:

1 https://lv.wikipedia.org/wiki/1905._gada_revol%C5%ABcija_Latvij%C4%81#R.C4.ABc.C4.ABbas_komiteju_veido.C5.A1ana_laukos

2 Rufs, a.a.O., S. 58

3 Ebd., S. 59

4 http://www.roots-saknes.lv/Ethnicities/Germans/Manteuffel/KfvManteufel1.htm

5 Hiermit ist die Russifizierungspolitik gemeint. Das Zarenregime hatte Russisch als Unterrichts- und Behördensprache verfügt, die orthodoxe Kirche warb für den Konfessionswechsel bei protestantischen Letten. Dennoch erwiesen sich die militärischen Kräfte des Zaren und die Barone 1905 als enge Verbündete, um den Aufstand niederzuschlagen.

6 Rufs, S. 76

7 Gregorianische Zeitrechnung

8 Rufs, S. 76

9 Ebd.

10 Bleiere, a.a.O., S. 61

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Translate »