Einleitung
Geografisch wird heutzutage als das Baltikum allgemein ein Gebiet bezeichnet, das die heutigen Staaten Litauen, Lettland und Estland umfaßt. Sprachlich allerdings ist dieses Gebiet uneinheitlich. Heute werden in diesem Gebiet drei Sprachen gesprochen und es sind dies das Litauische, das Lettische und das Estnische. Die Sprache der Liven dürfte als so gut wie erloschen betrachtet werden.
Hierbei sind die Litauer und Letten eine eigene Gruppe innerhalb des indogermanischen Sprachstammbaumes, die Esten und die Liven gehören zu den ostseefinnischen Sprachen und sind damit ein Zweig der Ural-Altai-Sprachen.
Desweiteren wurde über Jahrhunderte in dem Gebiet des heutigen Balitikum auch Deutsch, Schwedisch, Polnisch und Russisch gesprochen. Dies soll aber nur der Vollständigkeit erwähnt werden, weiteres findet sich in dem Artikel des Verfassers über Aizpute – ebenfalls in diesem Magazin.
Spätantike und Frühmittelalter
Auch die heutigen Grenzen sind nicht identisch mit denen des Mittelalters und der Frühneuzeit. Sie sind aufgrund der wechselvollen Geschichte dieser Gegend immer wieder verschoben worden.
So gab es beispielsweise im frühen Mittelalter ein litauisches Großreich, das bis kurz vor die Grenzen Moskaus reichte.
Die geopolitischen und historischen Aspekte sind allerdings jetzt nur soweit von Interesse, wie sie für die Verteilung der Sprachen dieser Gegend von Belang sind.
Nach der Kenntnis des Verfassers gibt es keine Sprachdokumente aus der Zeit der auslaufenden Spätantikte oder der Frühmittelalters. Man bedenke, dass beispielsweise noch in der Antike im der Gegend zwischen der Memel und der Oder Germanen siedelten. Die bekanntesten Stämme sind die Burgunder und die Vandalen, die zum Zweig der ostgermanischen Sprachen gehörten Sie verließen diese Gegend noch wieder in der Antike im Rahmen der Völkerwanderung und ließen fast menschenleeres Land hinter sich.
In dieses Land drangen dann von Osten her andere Völker ein. Im Gebiet des heutigen Polen waren dies verschiedene slawische Stämme, die sich später unter Führung der Polaner und Oplolaner zum Königreich Polen vereinigten. Sie sollen nur marginal Gegenstand weiterer Betrachtungen sein.
Weiter nordöstlich auch noch teilweise auf dem Gebiete des heutigen Polen – aber auch weiter die Ostseeküste hinauf in das Gebiet des heutigen Baltikums – siedelten die Pruzzen.
Die Sprache der Pruzzen ist heute ausgestorben. Inwieweit im Baltikum schon im Frühmittelalter Sprecher von ostseefinnischen Sprachen oder paläoeuropäischen Sprachen lebten ist mangels schriftlicher Dokumente nicht bekannt, kann aber vermutet werden.
Hochmittelalter
Im Hochmittelalter allerdings wurde das Gebiet des heutigen Polen und des heutigen Baltikums vom Deutschen Orden erobert. Dieser hat seinen Auftrag in der zwangsweisen Missionierung der Heiden des Ostens gesehen, nachdem er mit der Rechristianisierung des Orients im Wesentlichen gescheitert war und somit seine Bedeutung verloren hatte. Durch die gewaltsame Missionierung der heidnischen Pruzzen bekam der Orden seine neue Bedeutung und Aufgabe – dies allerdings mit der Auslöschung der Sprache der Pruzzen in Folge. Allerdings blieben dennoch einige Schriftdokumente dieser Sprache erhalten, die eine Erforschung ermöglichten. Es ist bekannt, dass die Herrschaft des Deutschen Ordens ebenfalls gewaltsam duch die Polen beentdet wurde, wobei in der Schlacht von Tannenberg es den Polen gelang, den Deutschen Orden so zu schwächen, dass er sich nie mehr erholte und letztlich weichen mußte. Nach der Vertreibung entstand ein polnisch-litauisches Reich, dessen wechselnde Herrscherkonstrukte hier nicht zu diskutieren sind.
Es sei nur am Rande erwähnt, dass es im Osten der heutigen baltischen Staaten zaghafte russische Versuche einer orthodoxen Missionierung gab, die aber nicht von Dauer und erfolglos war.
Die folgenden Jahrhunderte
Nach dem Fall des Deutschen Ordens, der die Gegend allerdings christianisiert hatte, kamen in den darauf folgenden Jahrhunderten abwechselnd deutsche, skandinavische, polnische und russische Eroberungen. Alle diese Eroberer ließen den einheimischen Balten ihre Sprachen und ihre Kulturen und ihre nach der Reformation lutherische Prägung des Christentums. Die baltischen Völker entwickelten bis in das 19.Jhrdt. kein besonderes Nationalbewußtsein, was auch zur Folge hatte, dass man sich um eine besondere Sprachpflege nicht besorgte. Dies änderte sich erst im 19. Jhrdt. und wurde durch den roten Terror des Sowjetreiches sogar noch bestärkt, obwohl die Sowjetherrscher letztlich genau eine Auslöschung einer baltischen Identität erwirken wollten.
Die indogermanischen Sprachen im Baltikum
An dieser Stelle muß kurz ein Bogen in die Moderne geschlagen werden, um die weitere Entwicklung der Sprachen zu erklären.
Die baltischen Sprachen – wir reden über das Litauische und das Lettische brachte erst sehr spät umfangreichere Literatur hervor, die die Erforschung dieser Sprachen ermöglichte und auch ihre nahe Verwandtschaft aufzeigte. Diese Sprachforscher ordneten diese beiden Sprachen einem eigenen baltischen Zweig der slawischen Sprachen zu. Diese Einteilung blieb bis in das späte 20. Jhrdt. erhalten.
Nun muß man aber wissen, dass neuere Sprachforschungen ein anderes Bild ergeben haben und diesen beiden Sprachen einen eigenen Zweig innerhalb eines balto-germanoslawischen Sprachstammbaumes definiert haben.
Hierfür gibt es zwei Gründe:
ad 1) Der erste ist politisch begründet, denn die Balten hatten zahlreiche Eroberungen und Fremdherrschaften hinter sich, von denen die Zeit als Sowjetprovinz die brutalste von allen war, denn die Bolschewiki hatten keine andere Vorstellung, als die Auslöschung jeder baltischer Indentität und die Russifizierung ihrer Gebiete. Insbesondere die Zeit Stalins ist den Balten in schlechter Erinnerung verblieben, aber auch die Zeit unter Breschnew löst bei vielen Balten heute auch noch keine guten Erinnerungen aus. Er ging hier um Deportationen, Umsiedelungen – aber wohl auch um gezielte Tötungen von Mitgliedern der Völker der baltischen Staaten. Aus dieser Erinnerung heraus wollten viele Balten nicht mehr mit Slawen in Verbindung gebracht werden.
Aus mündlichen Mitteilungen eines zeitweise in Lettland lebenden Deutschen weiß der Verfasser als Kuriosum, dass man sich in Lettland wohl eher in der Nähe von Sanskrit und Hindi als in der Nähe der russischen Sprache eingeordnet sehen möchte. Allerdings sind in Indien und in Himalaya, Hindukusch und Karakorum zahlreiche Sprachen aus dem arischen Zweig der indogermanischen Sprachen zu Hause, zu denen weiterhin auch das Kurdische, das Persische und das Paschtu gehören. Auch eine keltische Sprache ist in dieser Gegend zu Hause.
Ad 2) Ein zweiter Grund hat allerdings seine Ursache in neuen Methoden der Sprachforschung. Um Sprachstammbäume rekonstruieren zu können, haben Sprachforscher begonnen, sog. Protosprachen aus lebendigen Sprachen zu rekonstruieren. Eine Protospache ist eine manchmal hypothetische Ursprache, aus der neue Sprachen entstanden sind. In manche Fällen ist die Protosprache bekannt, so darf das Altlatein als die Protosprache der heutigen romanischen Sprachen gesehen werden. Auch das Altnordische darf als Protosprache der skandinavischen Sprachen gesehen werden.
Das Althochdeutsche ist die Protosprache des Hochdeutschen, der deutschen Dialekte, des Schwitzerdütsch und des Pennsylvania-Deutsch.
Auch die heutigen slawischen Sprachen haben eine Protosprache. Es ist dies eine Sprache, die sich im Wesentlichen im Alt-Kirchen-Slawisch erhalten hat.
So hat man auch in den slawischen, den germanischen und baltischen Sprachen viele Gemeinsamkeiten entdeckt, die auf einen sehr nahe Verwandtschaft der Sprachen schließen lassen. So hat man aus den rekonstruierten germanischen, slawischen und baltischen Protosprachen wiederdum einen Vergleich gemacht und daraus wiederum eine Protosprache rekonstruiert.
Das Erstaunen war gewaltig, als man feststellte, dass diese Sprachen der Sprache der Pruzzen sehr ähnlich waren und das Litauische sogar mit der Sprache der Pruzzen fast identisch ist. So kam man zu dem Schluß, dass offenbar der gemeinsame Sprachstammbaum relativ zeitgleich in die germanischen, die slawischen und die baltischen Sprachen zerfallen sein muß, wobei allerdings die baltische Linie der slawischen Linie doch näher verwandt ist als den germanischen Sprachen.
Im Mittelalter hat sich dann die lettische Sprache aus der litauischen Sprache durch eine starke Vereinfachung entwickelt.
Die ostseefinnischen Sprachen
Die Ostseefinnen sind eine Sprachfamilie, die den Ural-Altai-Sprachen zugerechnet wird. In der älteren Literatur wurden sie einer Sprachfamilie zugeordnet, die man als die finno-Ugrischen sprachen bezeichnete. Schon früheren Sprachforschern war aufgefallen, dass es Ähnlichkeiten in dem Basisvokabular und der Morphologie der beiden Sprachen Finnisch und Ungarisch gab, so dass man sie dank fehlender weiterer Erkenntnisse zu einer Verlegenheitsfamilie zusammenfaßte. Es handelt sich um sog. agglutinierende Sprachen. Es sind dies Sprachen, wie sie bei Naturvölkern häufig vorkommen und sich dadurch auszeichnen, dass man durch Veränderungen von Wörtern durch Prä-, In- und Suffixe deren Bedeutung komplett verändern kann und daduch in einem Wort ausdrücken, was man in anderen Sprachen mit einem ganzen Satz ausdrücken muß.
Spätere Forschungen ergaben, dass man die ostseefinnischen Sprachen als einen eigenen Zweig einer größeren Familie betrachten muß.
Die ostseefinnischen Sprachen hatten wohl mal ein größeres Verbreitungsgebiet, das Teile des Baltikums, Finnland und den Norden des heutigen Rußland umfaßte. Die bekanntesten Sprachen sind das Samische (die Sprache der sog. „Lappen“ in „Lappland“), das Finnische („Suomi“) und das Estnische. Weiter Sprachenklaven gibt es noch bei einigen Stämmen nördlich des Polarkreises in Rußland. Das Estnische und das Finnische sind so nah miteinander verwandt, dass Sprecher beider Sprachen sich gegenseitig verstehen können.
Die wohl einzig überlebende Sprache im heutigen Baltikum ist die Sprache der Esten. Es gab noch die Sprache der Liven. Sie haben ihren Namen auch in dem Begriff Livland hinterlassen. Livland ist ein großes Gebiet, das auf Karten aus dem 17.Jhrdt. auch eingetragen ist und ein recht großes Gebiet im heutigen Lettland und Litauen umfaßt. Auch das Länderkennzichen LV steht heute für Lettland.
Die Liven allerdings waren ein Seefahrervolk und ernährten sich hauptsächlich vom Fischfang. Wegen ihrer seemännischen Kenntnisse waren sie allerdings den sowjetischen Besatzern hinsichtlich Fluchtgefahr suspekt und sie wurden auch verdächtigt, als Fluchthelfer in Erscheinung treten zu können. Aus diesem Grunde wurden sie im Baltikum teils landeinwärts angesiedelt oder in der Sowjetunion verteilt, so dass sie auch nicht meht untereinander in Kontakt treten konnten. Ihre Nachfahren sind russifiziert und es gibt kaum noch Sprecher diese Sprache, wenn sie denn nicht komplett ausgestorben ist.
Dem Ostseefinnischen verwandte Sprachen
All diese Spachen wurden vom Ungarischen abgetrennt. Das Ungarische wird heute dem türkischen Zweig der Ural-Altai-Sprachen zugeordnet. Es ist eine Sprachfamilie, die vom Pazifik bis in die heutige Türkei, nach Ungarn und Nordosteuropa reicht. Das Ungarische ist eher mit dem Türkischen verwandt als mit dem Finnischen. Das Türkische ist mit der Sprache der Kirgisen, der Mongolen und der Oiguren verwandt.
Protosprachen-Vergleiche ergaben übrigens, dass das Japanische und das Koreanische eine frühe Abspaltung von den Ural-Altai-Sprachen sind. Ebenso die Indogermanischen Sprachen haben sich wohl auch von einer Protosprache der Ural-Altai-Sprachen sehr früh abgetrennt, so dass all diese Sprachen das bilden, was man als eine Superfamilie nennt.