Mo.. Juni 2nd, 2025

Eine Geschichte, man könnte sich köstlich amüsieren wenn sie nicht so eine bittere Wahrheit über unser menschliches Handeln ausschütten würde.

Wie kam ich drauf? Ich fragte bei einem lettischen Bekannten nach einer Plastiktüte zum Einkauf. Er suchte, fand eine, und meinte, könne man auch im Supermarkt kaufen. Dann sprachen wir über Plastiktüten.

Diese kamen erstmals in der Breschnew Zeit auf den sowjetischen Markt, Ende der 70er Jahre. 3 Rubel haben sie Anfangs gekostet, ein Wahnsinnspreis, dafür bekam man eine Flasche Wodka! Ich fragte meinen Bekannten, du hast wirklich für 3 Rubel so eine Plastiktüte gekauft? Ja, sagte er. Unglaublich, meinte ich, und wollte es nicht wirklich wahrhaben, ich dachte in der Sowjetunion wollte man ein Gegenbeispiel gegen den Kapitalismus setzen. Später fragte ich noch einige lettische Freunde und Bekannte, einer war ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter, er bestätigte mir nicht nur den Preis, sondern meinte, zu Beginn hätten die sogar 5 Rubel gekostet. Du hast etwa auch für 5 Rubel damals eine gekauft? Nein, meinte er, na sonst wärst du bei mir auch moralisch unten durch gewesen, antwortete ich lachend. Ein anderer Bekannter musste auch zugeben damals solche Tüten gekauft zu haben, er meinte, die Netzeinkaufsbeutel wären unmöglich gewesen, aus allen Maschen stackten längliche Gegenstände, Flaschen etc. heraus, die neuen Plastikbeutel wären halt ungemein praktisch gewesen.

Die Tüte auf dem Titelbild habe ich vor ca. 7 Jahren in Viljandi (Estland) in einem kleinen Antiquariat bekommen als ich dort zwei Kleinigkeiten kaufte.

Bedruckt waren die Plastiktüten oft mit westlichen Zigarettenmarken, Marlboro, Camel etc. .

Der Spiegel schilderte in einem Artikel folgendes:

„Sehr gefragt bei der russischen Damenwelt waren Plastiktüten aus dem Westen. Diese Tüten wurden für bis zu 15 Rubel gehandelt, je nachdem, ob sie noch einen Werbeaufdruck von irgendeiner westlichen Modefirma trugen. Eine Tüte mit einem Aufdruck von Escada war ein beinahe unbezahlbarer Luxus!“

https://www.spiegel.de/geschichte/sowjet-luxus-a-949682.html

Auch ein Russe erreichte damit den Rang eines Oligarchen:

„Während einer seiner Reisen nach Moskau erlitt Usmanow einen Beinbruch und verbrachte viele Tage liegend im Hotel „Budapest“. Dabei las er aus Langeweile ein Buch seines Zimmernachbarn, eines Chemieingenieurs, über die Technologie der Polymerverarbeitung. Interessanter als die Polymertechnologie fand er den wirtschaftlichen Aspekt: Aus einer Tonne Rohstoff im Wert von 437 Rubel konnten 30.000 Kunststofftüten hergestellt und für etwa einen Rubel pro Stück verkauft werden. So kam Usmanow auf die Idee, Ende 1987 zusammen mit einigen Partnern die Kooperative Agroplast zur Herstellung von Polyethylentüten zu gründen. Produziert wurden die Tüten, gemäß einer Vereinbarung mit Direktor Konstantin Wiktorowitsch Kunizkij[23], in den Räumlichkeiten des agrarindustriellen Kombinats Ramenskij in der Stadt Ramenskoje, Gebiet Moskau. Das Geschäft lief hervorragend, denn Plastiktüten waren in der UdSSR Mangelware.“

https://de.wikipedia.org/wiki/Alischer_Burchanowitsch_Usmanow

Neben den mehr begehrten westlichen Motiven auf den Tüten gab es auch lokalen Versionen:

Die antikommunistische Sucht nach dem westlichen Glitterkram

Bezeichnend wenn auch etwas überzeichnet ist die lettische Serie Sowjet Jeans von 2024.

https://www.arte.tv/de/videos/RC-026503/sowjet-jeans

Auch hier geht es um Anschaffung, Hortung und Handel mit „Westwaren“.

Schon 1989 habe ich zum Anlass des Mauerfalls bemerken müssen, das es sich im wesentlichen um eine Bananenrevolution gehandelt hat, im Vordergrund standen Bananen, Apfelsinen, Ananas, Elektrogeräte, von Freiheit war ansonsten wenig die Rede, freier Konsum, ja, wenn genügend Kohle denn auf Tasche war, die 100 Mark Begrüssungsgeld waren schnell aufgebraucht. Somit wird man auch die Auflösung der Sowjetunion weniger als Bewegung zur Freiheit verstehen können, eher als einen Weg zum grenzenlosen Konsum, der aber auch wie im Sozialismus nur Wenigen in vollem Umfang möglich ist.

Und darum gehen die ganzen Kriege und Auseinandersetzungen, wer kann noch was von dem kapitalistischen Kuchen Erde ergattern, horten, oder schnell verspeisen.

Unser sogenannter Wertewesten hängt nur an den Produkten, wenn die nicht in vielen Variationen, bunt wie Glasperlen einer grösseren Anzahl von Bürgern, Neubürgern, Migranten zur Verfügung gestellt werden platzt die Pseudomoralblase ganz schnell.

Der gesteigerte Konsum in allen Bereichen, Essen mit allen Finessen, Mobilität/Reisen mit allen erdenklichen Geräten, die überbordene Auswahl von Reinigungsmitteln in Regaldezimetern.
Die fortschreitende Klimatisierung der kleinen behaglichen Ego-zellen gegen die Klimaerwärmung. Die eiskalten Drinks und lauwarmen Duschen dreimal am Tag, – und das sollen, und somit wollen 8 Milliarden und mehr auf der Erdkugel haben, den Gedanken kann man sich mit all seinen Folgen in eine Plastiktüte packen, und warten bis die Henkel reisen.

Glückliche Reise…

5 Gedanken zu „Das Glasperlenspiel, oder Plastiktüten in Sowjetlettland“
  1. na ja, das sind 2 grössen, die eine, der difuse wunsch statt einer flasche vodka für drei euro einen beutel für drei euro zu bekommen, das andere, daß dies ab einem gewissen zeittpunkt von oben gehypt wurde. der gegensatz war nie auf der einen seite kapitalistischer überfluß auf der anderen seite sozialistischer mangel, sondern wir haben alles das, was wir brauchen (vodka !!!) weil wir keine energie auf schwachsinn verschwenden. das versagen lag darin, daß dies niemals in der staatlichen propaganda herausgearbeitet wurde, ab einem gewissen zeitpunkt wurde dann sogar direkt der westliche lebensstil umfassend propagiert.
    ausgerechnet das neue kapitalistische russland ist da anders, indem es klar herausarbeitet, was wir vom westen übernehmen, entscheiden wir selber. parmaschinken für alle (da müssen wir noch üben) , hambuger gibt es bei „Lecker und das war’s“ — eindeutig besser als das original, da aus frischen zutaten hergestellt.

      1. Der Bolschewismus hat schon deswegen völlig versagt, weil er nicht nur einfach einen ganzen Staat sondern ein ganzes Staatenbündnis in den Untergang geführt hat, sondern auch die Herren des Bolschewismus, der ein Sozialismus sein sollte, wie die Fürsten und nicht wie Arbeiter und eben nicht mit den Arbeitern gelebt haben. Nein sie haben das Stadium des Kommunismus nach der marxistischen Theorie nie erreicht und stattdessen selber eine Lebensstil wie die Fürsten gelebt, den sie ja angeblich zu bekämpfen vorgegeben hatten. Nach meiner Kennntnis hatten auch die Führer der DDR westlichen Glitterkram, der deren Untertanen verboten war. Man predigte also auch im Rotfaschismus Wasser und soff heimlich Wein. Sie waren eben keinen Deut besser als die, von denen sie Erlösung versprachen.

    1. Hast du im Westen schon mal einen verfaulten Burger verkauft bekommen? Da passen die aber in den Imbißketten höllisch auf, denn bei dem Image, das Fastfood zu Unrecht hat, wäre der Aufschrei in der Presse wohl riesengroß. Aber auch bei den bekannten Fastfood-Ketten halten die sich inzwischen an die Empfehlungen der deutschen Ernährungsgesellschaft. Und in den USA wird in den bekannten Ketten sogar inzwischen Grünkohl angeboten. Auch in England ist das Sortiment inzwischen sogar besser als in Deutschland und auch billiger.

      Allerdings muß man sagen, daß man beispielsweise in St. Petersburg nicht auf Fastfood angewiesen ist, denn auch russische und kaukasische Restaurants bieten dort ein Essen an das sich von westlichen Standards nicht unterscheidet. Auch Betriebe, die sich aus der Sowjetzeit in die neue Zeit gerettet hatten, bieten gutes Ware an, aber sind von Neugründungen teilweise überholt worden.

      Es ist dem Zeichnenden auch bekannt, daß man in Rußland bei Nahrungsmitteln, die von Sanktionen betroffen sind, inzwischen auf russische Eigenproduktionen setzt. So bekommt man in Rußland auch russische Mozzarella zu kaufen. Umgekehrt gibt es genug Menschen im Westen, die wissen, wie man einen Bortsch oder eine Soljanka oder eine russisch-lettische Pizza macht!

      Allerdings war es beispielsweise in der DDR-Propaganda auch üblich, den Wessi als eine Art Volltrottel hinzustellen, der in einer selbstgegrabenen Erdhöhle lebten täte und sich von Baumrinde ernährt und der antiimperialistische Schutzwall ja nötig wäre, um die Wessis daran zu hindern, den Ossis ihre Errungenschaften des Sozialismus zu stehlen……..

      So sehe ich das auch mit den besseren russischen Burgern, die ja frisch zubereitet würden. Unabhängig von allen Märchen vom Schmuddelwessi oder dem Bärenfleisch und rohe Kartoffeln essenden Rotarmisten muß man feststellen, daß es in Rußland wie im Westen wohl hervorragendes Essen gibt. Und auch der Westdeutsche hat auch zur Zeit des kalten Krieges schon gerne Schaschlik gegessen.

  2. Meine Vermutung ist auch, daß das Ostblockregime nicht so schnell und heftig zusammengebrochen wäre, wenn man den Menschen den Zugang zu manchen Konsumgütern einfach leichter gemacht und nicht jeden Winkel ihres Privatlebens ausspioniert und bevormundet hätte. Nach meiner Einschätzung ist es vielen Menschen egal, wer sie regiert und mit welchem ideologischen Vorzeichen, wenn man sie einfach nur einen kleinen Bereich für sich allein haben läßt und ihnen ohne große Komplikationen den Zugang zu manchen Waren ermöglicht, die ihnen das Leben schön machen.

    Der Zeichnende hat viele Menschen kennengelernt, die den Fall der DDR bedauert haben und sich heute noch zurücksehnen, denn viele Menschen sind sogar ganz froh, wenn sie einen Vorturner haben, dessen Verrenkungen sie nachmachen dürfen und der ihnen das Denken und Reden abnimmt und ihnen das Gefühl vermittelt, daß sie nichts falsch machen können, wenn sie ihm nur folgen. Es ist dies eben nicht nur eine Idealisierung schrecklicher Erfahrungen im Sinne einer Selbstheilung von Traumata sondern es gibt wohl Menschen, die es sogar als Fürsorge empfinden, wenn sie gegängelt werden und einfach in der Masse mitlaufen dürfen.

    Man muß auch sagen, daß seit Chrustschow auch in dem System, das sich selbst als marxistisch bezeichnete, niemand mehr hungern mußte. Das Problem war eben einfach nur, daß es eben schwierig war an manche begehrte Güter heranzukommen.

    Ein anderes Problem war eben eine Atmosphäre in den rotfaschistisch regierten Staaten, die durch die Schergen dieses Systems erzeugt wurde, die für viele Menschen schwer erträglich war. Es waren hierbei auch oft eben nicht die Menschen an der Spitze, die diesen Systemen ihr gräßliches Gesicht verliehen, sondern die Kleingeister und Wichtigtuer und Speichellecker und Spießbürger in zweiter, dritter und vierter Reihe, die das Leben mitunter unerträglich machten, indem sie auf den Schwachsinn der Regierenden immer noch meinten eins draufsetzen zu müssen oder überpenibel auslegen zu müssen. Man kennt sie in jeder Gesellschaft und in jeder Generation, aber in totalitären Regimes können sie halt eben richtig aufblühen, wo sie diesen Systemen dann ihre häßlichen Fratzen verleihen.

    Einen Wertewesten in diesem Sinne gibt es nicht, zumindest nicht in diesem Sinne, daß sich jemand so definiert und sich selbst diesen Namen gegeben hätte. Es ist dies ein das Feindbild Westen entwertender Kampfbegriff mit Losungscharakter aus der moskautreuen ultralinken Bewegung und hat eben einen Losungscharakter, an dem sich Gleichgesinnte eben erkennen und (anders) Denkende eben gleich an der Wortwahl erkennen können und sollen, daß sie nicht dazugehören.

    Es ist richtig, daß sich der Westen als ein auf Freiwilligkeit beruhendes Verteidigungsbündnis begreift, das sich zum gegenseitigen Beistand verpflichtet hat, für den Fall, daß ein freiheitlich demokratisch geführter Staat angegriffen wird. Es entstand als Reaktion auf die Expansionsgelüste Stalins, die in den Nachkriegsverhandlungen deutlich sichtbar wurden und als Bedrohung gesehen wurden. Es ist nichts Verwerfliches daran, daß Länder mit freiheitlichen Demokratien diese vor Angriffen aus einem totalitaristischen System verteidigen wollten und wollen, das als einziges Gesetz aus der Zarenzeit die Staats- und Militärdoktrin einer Ausweitung Rußlands an die Atlantikküste beibehalten hat und das eben Todeslager unterhält. Wenn man also über Werte redet, dann ist es wohl der größere Wert, Freiheit zu verteidigen als eine Ideologie, die die Tötung nicht umerziehbarer Menschen zu ihrer Durchsetzung für rechtens erklärt. Es sei noch einmal erwähnt, daß eben der Warschauer Pakt mit der Androhung und teilweise auch Anwendung von militärischer Gewalt für den Fall des Abweichlertums gegründet und zusammengehalten wurde. Die Nato hingegen wurde als Reaktion auf die Bedrohung aus dem marxistischen Anspruch sich als kommunistisch bezeichnender Regierungen auf Weltherrschaft und alleiniges Vertretungsrecht für die Menschheit gegründet. Ihre Mitglieder sind auf freiwilliger Basis dabei, d.h. man muß einen Antrag auf Aufnahme stellen und die Mitgliedstaaten müssen zustimmen. Es ist somit ein Militärbündnis auf Gegenseitigkeit und niemand wird gezwungen, dabei zu sein. Und diese Freiwilligkeit der Zusammenarbeit stellt an sich schon einen Wert als solchen dar.

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