Mit BGE in die soziale Hängematte? Bild: Bing-KI.
Die internationale Initiative UBI4ALL verlost regelmäßig gespendete bedingungslose Grundeinkommen (BGE) in Höhe von 9600 Euro, die für eine befristete Zeit ausgezahlt werden. Zum Sinn dieser Aktion schreiben die InitiatorInnen: „Wir brauchen das Grundeinkommen, damit die Menschenwürde wirklich gewahrt wird und sich jeder Mensch bestmöglich entwickeln kann. Ein Grundeinkommen ermöglicht die Selbstbestimmung des Einzelnen, denn es wird jedem Einzelnen die Möglichkeit gegeben, „Nein“ zu sagen, zum Beispiel zu schlechten Arbeitsbedingungen.“
Zu den GewinnerInnen zählt seit September 2025 Irina aus dem Osten Lettlands. Sie wird laut UBI4ALL bis August 2026 das Grundeinkommen in monatlichen Raten erhalten. Sie sei aber dankbar, unter schwierigen Arbeitsmarktbedingungen einen Job zu haben. Die Unternehmen zahlten schlecht, die soziale und gesundheitliche Absicherung ist spärlich in ihrem Land. Deshalb möchte Irina das gewonnene Geld einsetzen, um etwas für ihre Gesundheit zu tun.
Lettland hat eine BGE-Szene, deren bekannteste Aktivistin Aija Lasmane ist. Etwa 3000 LettInnen haben sich bei UBI4ALL angemeldet. Als 2020 eine europäische Initiative versuchte, das BGE zum EU-Thema zu machen, scheiterte das Abstimmungs-Projekt zwar mangels Interesse der Leitmedien und auch Lettland erreichte nicht die Mindeststimmzahl, schnitt aber im Ländervergleich noch relativ gut ab (citizens-initiative.europa.eu).
Das mangelnde Engagement der JournalistInnen, die im Sinne profitorientierter VerlegerInnen schreiben oder im „öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ in den letzten Jahren immer regierungsnäher Bericht erstatten, scheint kein Zufall. Denn ein BGE, das nicht nur ein neoliberales Almosen darstellt, sondern die grundlegenden Bedürfnisse des Lebens – Wohnung, Ernährung und medizinische Versorgung – bedingungslos gewährleistet, würde die auf Lohnarbeit gedrillte Gesellschaft auf den Kopf stellen. Besitzlose zur Arbeit zu verdingen ist der Kern kapitalistischer Herrschaft und des sozialen Machtgefälles.
Der Soziologe Stephan Lessenich spricht vom Stockholm-Syndrom, das die Lohnabhängigen seit der Industrialisierung befallen habe: Sie eigneten sich stolz die Identität des Lohnarbeiters bzw. des Gehaltsbeziehers an und erwiesen sich damit als bereitwillige Subalterne unter der Herrschaft von Fabrikbesitzern, nach dessen Pfeife sie seitdem zu tanzen haben. Zwar verbesserten Gewerkschafter Lohn- und Arbeitsbedingungen, doch nach wie vor sitzen die Kapital- und Produktionsmittelbesitzer am längeren Hebel: Sie bestimmen, was, wo, in welchen Mengen produziert wird. Sie diktieren die Arbeitsverträge und Arbeitszeiten. Jobsucher haben sich formvollendet zu bewerben und sollen, angeleitet in Bewerbungsseminaren, ihren Lebenslauf tunen, um für Personalchefs möglichst gefällig zu erscheinen. Sie sollen sich froh und glücklich zeigen, einen Arbeitsplatz vor allen anderen ergattert zu haben, die in diesem Ränkespiel mal wieder leer ausgingen. Dann droht zumindest jenen „glücklichen“ Arbeitsplatzinhabern, die nicht zu den leitenden Angestellten gehören, ein Alltag, in dem sie den lieben langen Tag weisungsgebunden tätig sein müssen. Das Arbeitsende wird vielsagend „Feierabend“ genannt. Für die meisten reicht die Energie dann nur noch, den Fernseher einzuschalten, der sie belehrt, dass sie sich in der freiesten und demokratischsten aller möglichen staatlichen Ordnungen befinden, im Wertewesten eben.
Doch mitgefangen bedeutet auch in diesem Fall: mit gehangen. Der Stolz des Lohnarbeiters, devot seine Pflicht zu erfüllen, bedeutet für ihn, nach Betreten der Werkshalle die Verantwortung für das Hergestellte an der Garderobe abzugeben. Ob er SUV, Panzer, gesundheitsschädliches Fastfood herstellt oder mit Plastikproduktion die Müllberge vergrößert – Hauptsache Arbeit, die Verantwortung für die Ware wird dem Chef anheimgestellt, der systembedingt Profit erwirtschaften muss, also das produzieren lässt, das den größten Gewinn verspricht. Dass der größtmögliche Profit stets dem Gemeinwohl nützt, ist ein von den Herrschenden gern erzähltes Ammenmärchen. Die Wirklichkeit erweist das Gegenteil: Das beste Umweltschutzprogramm ist eine weltweite Rezession, dann wird weniger gearbeitet, weniger Energie benötigt, weniger Verkehr verursacht weniger Verschmutzung und weniger Treibhausgase, weniger Konsum schont die Ressourcen und dessen Abfall landet weniger häufig auf den Müll. Bislang können sich Lohnabhängige herausreden, die sich an der Produktion von Umweltkatastrophen beteiligen, denn bei Kündigung droht der soziale Abstieg, vielleicht bis zur Obdachlosigkeit. Ein BGE ließe ein solches Herausreden nicht mehr zu, denn der Untergebene könnte seinem Chef sagen: „Ich mache bei deinen Bullshit-Jobs nicht mehr mit!“
In der Öffentlichkeit wird das BGE kaum diskutiert. Fällt das Stichwort, werden die Befürworter schnell als weltfremde Spinner abgetan. Der eigentlich progressive Ökonom Heinz-Jürgen Bontrup spricht ihnen sogar „ökonomischen Sachverstand“ ab und unterstellt, dass BGE-AktivistInnen neoliberalen Ideologen auf den Leim gingen und sich an der Abschaffung des Sozialstaats beteiligten (agora42.de). Wer sich Konzepte von linken BGE-Befürwortern anschaut, wird Bontrups Polemik zurückweisen. BGE-AktivistInnen planen keineswegs, den Sozialstaat abzuschaffen; ein emanzipierendes BGE beseitigt nicht nur die Armut der Erwerbslosen und Geringverdiener, es verringert auch die soziale Ungleichheit, weil sich vor allem Reiche und Wohlhabende an der Finanzierung beteiligen müssten.
Wäre das BGE ein mehrheitsfähiges Thema, wenn es in den Medien ausführlich debattiert würde? Das scheint mir eine offene Frage in einer gespaltenen Gesellschaft, wie sich die deutsche darstellt. SPD-Politiker Peter Glotz sprach in den 80er Jahren von der „Zweidrittelgesellschaft“: Das bedeutet, dass nicht nur Reiche, sondern auch die Bezieher höherer oder mittlerer Einkommen genügend Wohlstand erwirtschaften und soziales Prestige erwerben, um sich mit der bestehenden Wirtschaftsordnung identifizieren zu können. Ich vermute, dass deshalb das Bekenntnis zur Lohnarbeit in diesen Kreisen besonders hoch ist. Dazu gehört auch, dass es den besser Situierten psychisches Wohlbefinden bereitet und sie es als Bestätigung des eigenen Erfolgs betrachten, auf das abgehängte untere Drittel verächtlich herabzusehen. In CDU- und AfD-Kampagnen werden Geringverdiener gegen Erwerbslose und diese wiederum gegen Migranten ausgespielt. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann behauptete beispielsweise im Sommer 2024, dass eine „sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen“ (tagesschau.de). Diese Behauptung war reiner Fake, um die Stimmung gegen Bürgergeld-Bezieher anzuheizen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer nennt solche Propaganda, die die Unterschicht verunglimpft, „verrohte Bürgerlichkeit“.
Um so wichtiger erscheinen mir in diesen Zeiten des reaktionären Backlashs, in der vor allem die AfD Erfolge feiert, Initiativen, die für den Einzelnen und die Gesellschaft Emanzipation von ungerechter Herrschaft bedeuten. Dazu gehören gewiss BGE-AktivistInnen. Sie organisieren sich beispielsweise in der Attac-Initiative „Genug für alle“ oder eben in UBI4ALL. Dessen deutscher Vertreter Helwig Fenner beantwortete meine Frage, was seine Initiative mit der Verlosung von BGE bezwecke: „Uns ist natürlich klar, dass das von uns ausgezahlte Grundeinkommen „on top“ ist (abzüglich Besteuerung, die je nach Wohnsitz des Empfängers ausfällt) und damit keinen Anspruch auf ein Experiment, Pilotprojekt o.ä. erhebt. Vielmehr sehen wir in den Verlosungen einen großen Anreiz für viele Menschen mitzumachen und sich auf diese Weise mit den Ideen des BGE vertraut zu machen. Es ist also ein einfacher Einstieg in die BGE-Welt, der auf globale Reichweite zielt. Zum andern ist unsere globale Ausrichtung auch eine Chance, den Bedeutungsinhalt von „Basic Income“ – „unconditional“ oder „universal“ – glatt zu ziehen. Denn es existieren in den verschiedenen Ländern der Welt verschiedene Begriffe bzw. Begriffsbedeutungen zu „Basic Income“ (neben „Income Guarantee“, „minimum income“ und weiteren) . Wir richten die von uns verbreitete Bedeutung von „UBI“ dabei ganz klar nach der Definition von BIEN, dem Weltverband, aus.“